Romanfragment, im Exil entstanden, erstmals veröffentlicht in „Die Presse“ (Wien), 1988
In welchem Beruf war Leo Perutz vor seinem Erfolg als Schriftsteller tätig? Was haben seine Werke mit Mathematik zu tun? Warum scheuten sich Verlage, Perutz nach Ende des 2. Weltkriegs zu verlegen?
„Er könnte einem Fehltritt Franz Kafkas mit Agatha Christie entsprossen sein“, sagt Friedrich Torberg in seiner Anekdotensammlung „Die Tante Jolesch“ über Leo Perutz. Was für eine herrliche und zugleich zutreffende Charakterisierung des Perutzschen Werkes. Denn wie kaum ein anderer Schriftsteller vermag es Perutz, spannende Unterhaltung stilistisch meisterhaft in Szene zu setzen.
Eine „geradezu mathematische Präzision“ glaubte Egon Erwin Kisch in Perutz‘ Büchern zu erkennen, und wenn man weiß, dass der Autor vor seinem Erfolg als Schriftsteller Versicherungsmathematiker war, liegt es nahe, sich den Aufbau seiner Werke als mathematische Gleichung vorzustellen.
Ruhig, fast schon gemächlich, beginnen die Romane von ihm. Es ist eine angenehme, unaufdringliche Sprache, mit der Perutz in seine Geschichten einführt. So als würde ein Lehrer an der Tafel in klarer Schrift zwei Terme mit Zahlen und Variablen mit einem Gleichheitszeichen verbinden.
Es geht zunächst bedächtig weiter. Nach und nach tun sich kleine Konflikte auf (die Tafel füllt sich) und stellen das Thema und seine Problematik deutlicher heraus, aber man liest noch ganz entspannt. Wohltuend die präzise Sprache, die kurzen, klaren Sätze. Und dann, abprubt: der Tempowechsel: Von nun an jagt man durch die Geschichten. Oftmals nimmt Perutz einen Zeitenwechsel vor (wechselt von der Vergangenheit in die Gegenwart) und mit roten Wangen folgt man gebangt dem Geschehen (und die Kreide knarzt auf der Tafel und fiept und die Spannung ist nicht mehr auszuhalten). Schließlich wird die Lösung präsentiert – Perutz weiß zu überraschen. Unglaublich, was er jeweils aus dem Hut zaubert.
So ist es in seinem Roman „Zwischen neun und neun“, einem der größten Erfolge des deutschsprachigen Buchmarktes in der unmittelbaren Nachkriegszeit, so ist es bei seinem Bestseller Wohin rollst du, Äpfelchen?, der Millionen Leser erreichte.
Und so ist es wohl auch bei „Mainacht in Wien“. Ganz genau kann ich es nicht sagen, es liegt nur ein Fragment des Romans vor. Gelesen habe ich es in der Sammlung „Exil – Literarische Wortmeldungen aus deutschsprachigen Zeitschriften 1933 – 1950“, veröffentlicht in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft (ISBN 978-3-8062-4534-9).

Zehn Tage nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich wird der Wiener Redakteur Georg entlassen und einige Tage später verhaftet – ohne Grund, er sei Nichtarierer, lässt man ihn wissen.
Nach seiner Entlassung versucht er mit zwei Freunden, die sich in ähnlicher Lage befinden, Österreich zu verlassen. Bittbriefe ins Ausland an Freunde und Bekannte bleiben unerhört- keiner will die drei aufnehmen. Und mit der Zeit gehen Georgs Ersparnisse zur Neige …
Viel mehr ist dem Fragment nicht zu entnehmen. Es hat sicher autobiografischen Charakter. Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich musste Leo Perutz Österreich verlassen, aus dem gleichen Grund, warum sein Romanheld Georg entlassen und inhaftiert wird: er ist Jude.
Perutz flieht über Italien nach Palästina. Sein Bruder Hans, ein überzeugter Zionist, von dem der Autor wirtschaftlich stark abhing, hatte dorthin seine Firma verlegt und drängte seinen Bruder, ihn dorthin zu folgen.
Wirtschaftliche Not litt Perutz nicht. Auch konnte er wieder seiner Tätigkeit als Versicherungsmathematiker nachgehen. Sicher ist aber auch, dass er das Exil in einem anderen europäischen Land dem Aufenthalt in Palästina vorgezogen hätte, wie seine Tagebucheinträge belegen. Weiterhin verfolgte Perutz im Exil literarische Projekte, konnte mit ihnen aber nicht mehr in Erscheinung treten.
Nach Kriegsende dachte Perutz schnell an eine Rückkehr nach Europa nach, die sich aber schwierig gestaltete, da er mittlerweile die Staatsbürgerschaft Palästinas angenommen hatte. Auch ein literarischer Neuanfang erwies sich als schwierig – die Verlage scheuten sich, jüdische Autoren zu verlegen.
1950 schließlich betrat Leo Perutz zusammen mit seiner Frau wieder östereichischen Boden. Die folgenden Jahre sollte er abwechselnd in Österreich sowie in Palästina verbringen. 1957 brach Perutz während eines Besuches im Haus seines Freundes Alexander Lernet-Holenias in Bad Ischl zusammen. Kurz darauf verstarb er im dortigen Krankenhaus und wurde auf dem Friedhof in Bad Ischl beigesetzt.
Leo Perutz ist einer meiner Lieblingsautoren. Hab alle seine Romane regelrecht verschlungen. Soweit ich mich erinnern kann, wurde „Sankt Petri Schnee“ Ende der 80er/Anfang 90er fürs Fernsehen verfilmt. Leider wurde der Film seitdem nie wieder gezeigt. Auf jeden Fall sind seine Romane großartige Unterhaltung.
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Ich liebe auch seine Bücher, sie machen süchtig nch mehr
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