Karl Jakob Hirsch – Kaiserwetter

Roman, S. Fischer Verlag, 1931

Welcher Roman diente als Vorbild für Hirschs „Kaiserwetter“? Wofür steht der Titel des Romans?

Der Kaiser kommt nach Hannover. Die Stadt putzt sich heraus, Majestäts Untertanen putzen sich heraus und bilden, wie beim Militär, eine „Front der Strammen und Gebückten“, wie Alfred Wolfenstein es in seiner Weltbühnen-Besprechung beschreibt.

… de Vries beugte sich ganz tief, eine Hand berührte ihn, er nahm sie, schon war sie fort. Er hörte eine helle kurze Stimme: ‚Gedient?‘ – De Vries schoß das Blut zu Kopf. Sein Schlund war trocken. Ein Laut entfuhr ihm, der sollte heißen: ‚Leider, nein, Majestät.‘ Aber ob er es wirklich gesagt hatte, wußte er nicht … niemals im Leben wußte er die Antwort, die er dem Beherrscher des Deutschen Reiches gegeben hatte … Draußen wogten die erregten Menschen an ihm vorbei. Die Absperrung war aufgehoben. Man lachte und schwatzte und drängte sich. Es war noch immer Sommerwetter, Kaiserwetter, Hohenzollernwetter.“

Herrlich! Eine wunderbare Szene! Und schon bin ich gedanklich bei einem Roman, der wie Hirschs „Kaiserwetter“ die wilhelminische Zeit beschreibt und die Verhältnisse, die Deutschland in den Ersten Weltkrieg führten. Ich bin sicher, Heinrich Manns Der Untertan diente Hirsch als Vorbild für seine Arbeit.

Kaiserwetter – das steht für eine heile Welt, die intakt, korrekt und geordnet ist und für ein kaisertreues Bürgertum, das sein Leben in einem sicheren und festen Rahmen führt. Ein Leben auf der Sonnenseite. Ein Gewitter ist in einem solch geschlossenen System nicht zu vernehmen. Schon gar nicht in Hannover, in der tiefen Provinz.

Alles nur Schein. Karl Jakob Hirsch blickt hinter die Fassade und entlarvt Doppelmoral und Verlogenheit einer Gesellschaft, die sich im Kaiserwetter sonnt.

Vor der Kulisse der Königl. Haupt- und Residenzstadt Hannover lässt Hirsch eine reichliche Zahl Figuren agieren, ohne dass der Roman über eine Hauptperson oder einen Helden verfügt. Da ist der angesehene jüdische Rechtsanwalt Samuel de Vries, dessen Frau Johanna einer reichen Hamburger Kaufmannsfamilie entstammt. Ihr Sohn Joe ist musikalisch begabt. Der selbstgewisse Briefträger Emanuel Tölle repräsentiert mit seiner Frau Luise und seinem Sohn Bernhard das Kleinbürgertum. Da ist der allseits beliebte Max Büter. Gesine Geffken, die im „Hohenzollernhof“ arbeitet und mit dem Stationsvorsteher Cohrs verlobt ist. Und, und, und …

Sie alle – und noch reichlich mehr – scheitern und ihr Scheitern weist auf das Scheitern einer Epoche hin. Das Ansehen des Anwalts schwindet aufgrund einer aufgedeckten Affäre mit der Frau eines Mandanten. Später übernimmt er erfolglos die Verteidigung des Massenmörders Büter – Büter wird hingerichtet. Luise Tölle verstirbt – ihr oft alkoholisierter Mann ist mit der Erziehung des Sohnes überfordert. Der meldet sich schließlich freiwillig zur Armee, kurz bevor der Krieg ausbricht. Cohrs begeht Selbstmord und Gesine Geffkens Träume von einem eigenen Tanzlokal gehen in Flammen auf.

Zum Schluss sucht Joe de Vries Zuflucht in einer menschenleeren Heidelandschaft. „Braune Torfflächen und sattgrüne Wiesen unter einem heiteren Himmel, friedlichen Himmel, auf dem eine rosa Wolke schwebte. Auf den Weiden sah man das Vieh grasen, hörte Wiehern und Muhen … Der zweite Augusttag ging weiter in den Morgen, in den Mittag, es wurde ein heißer und brennender Tag. In irgendeiner Stunde erdröhnte der erste Schuß. Der erste Soldat fiel. Der Krieg hatte begonnen.“

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