Wilhelm Speyer – Ein Dichter, der sein Metier beherrscht

Über Ernest Hemingway
Abgedruckt im „Unterhaltungsblatt“ der „Vossischen Zeitung“ am 18. Dezember 1929

Als sich im Jahre 1915 der amerikanische Staatsbürger Ernest Hemingway kriegsfreiwillig zur italienischen Front meldete, hatte er vermutlich zu viel der verschiedensten Alkoholsorten durchgekostet, denn die europäischen Konflagrationen gingen ihn ja damals nicht das geringste an. „Mehr tut man ja schließlich überhaupt nicht, nicht wahr? Sachen angucken und die verschiedensten Alkoholarten durchkosten.“ Dieser Satz findet sich in dem bei Rowohlt soeben erschienenen Buch „Männer“. (Warum hat man den Titel der Originalausgabe nicht wörtlich übersetzt – ein seltenes Glück doch, wenn man es darf! „Men without Women“, also: „Männer ohne Frauen.“)

Amerika und Europa haben in einer Hinsicht das gleiche Schicksal: beide Kontinente bekommen nur wenig gute amerikanische Literatur zu schmecken. So gern wollten europäische Dichter von den Herren da drüben neue Rezepte lernen. Aber in den meisten Fällen müssen wir den Fraß noch einmal herunterwürgen, mit dem wir hier längst fertig zu sein geglaubt hatten. Von „Aal bis Zitrone“, wir finden alles wieder, was wir in den letzten Jahrzehnten genossen haben. Wie ihre Kriegsrechnungen reichen sie uns ihre Speisekarten her – und diese wie jene, es wird alles Amerikanische heruntergewürzt, bis der vergiftete Leib der schönen Europa nur noch taumelt.

Dies ist eine kontradiktorische Einleitung! Denn den Amerikaner Ernest Heimingway und seine Gaben begrüßen wir mit einem ganz besonderen Vergnügen in unserer Mitte. Niemand wird es unterlassen, zu ihm hinzutreten, sobald er in unsern Türen erschienen ist, und ihm mit liebevoller Ehrerbietung die Hand zu reichen. Hemingway beteiligt sich nicht nur vorwitzigerweise an unseren Kriegen, sondern auch genießender und leidender Weise an unseren feinsten Dingen, und er ist ein ganz eminenter „Angucker“ europäischer „Sachen“.

Was eigentlich hat es für einen Sinn, ein Buch wie „Männer“ von Hemingway schulgerecht zu kritisieren? Weshalb soll man sich bemühen, diese Dichtungen einzuordnen, gescheite Dinge über sie zu sagen, Beeinflussungen und ihre Abwandlungen aufzuzeigen? Wo, wie hier bei Hemingway, die allerzartesten Reize europäischen Schrifttums wirksam werden, da bleibt nur noch der Wunsch, aus diesen Erzählungen zu zitieren oder sie geradewegs vorzulesen. Man sagt zu seinem Freunde, zu seiner Freundin: Wir wollen nicht lange darüber sprechen. Wir wollen uns diese herrliche, kleine Erzählung vorlesen: „Berge wie weiße Elefanten“. Ein Mädchen und ein Mann trinken an einem gnadenlos heißen Tage in einer kleinen japanischen Bahnhofswirtschaft vor einer Perlgardine einige Glas Bier, und sie sprechen von einer kleinen Operation, die das Mädchen an sich vornehmen lassen soll. „Es ist eigentlich überhaupt keine Operation“, sagt der Mann. „Es ist wirklich nichts.“ Und das Mädchen: „Aber wenn ich es mir machen lasse, wird es dann wieder hübsch sein, wenn ich sage, daß die Berge wie weiße Elefanten aussehen, und wirst du es auch wieder gern haben?“

Will man Hemingways Art und Wesen ausdrücken, so muß man über ihn reden, wie die Malerei-Rezensenten über die eindringlichsten Meister. Das leuchtet. Das schmeckt. Das klingt. Das riecht. Das faßt sich gut an. Liest man Knut Hamsuns „Hunger“, so stürzt man in die Speisekammer und schlingt hinunter, was gerade auf dem Brett steht. Liest man Hemingway, „Fiesta“ oder „Männer“, so zieht es einen unwiderstehlich in seine Kneipen. Man will das auch; nach Lakritze schmeckendes Zeug trinken und irgendwelche südlichen Sachen dabei angucken. Ein Dichter ist das also, der sein Metier vollkommen beherrscht, ohne eine andere Weltanschauung zu äußern als die leichte, die ich da oben zitierte. (Sein Können allein, – das wäre vielleicht ein Grund, ihm in Deutschland mit Mißtrauen zu begegnen. Denn wer hierzulande in der Literatur sein Handwerk meisterhaft beherrscht und weiter nichts als eben dies, wer hier den Mund sorglos zu öffnen wagt, um vor sich hin zu musizieren, ohne Anspruch, mit diesem Gesang sein Volk in die Schlachten des Geistes anführend zu begleiten, dem schlägt das bitterliche Deutschland eins auf das lose Maulwerk hin). Dieser Amerikaner nun versteht sein Handwerk in einer ganz eminenten Weise. Staunenswürdig ist bei ihm unter anderem die Technik des Fortlassens und was in dieser Hinsicht mit dem zunehmenden Wachstum der erzählenden Weltliteratur uns zugemutet werden darf. Das Ahnungsvermögen des Lesers wird in einem noch höheren Maße als bei Hermann Bang in Anspruch genommen. Du bist ergriffen, weil du teilnehmend und mitwirkend so ahnen sollst.

Ich wüßte gern, ob dem Fremdling Hemingway der europäische Krieg ebensoviel Spaß gemacht hat wie uns allen hier. Es gibt einige Kriegserzählungen in „Männer“, die mich vermuten lassen, daß Hemingway es nicht hübsch fand, eines Nachts für die Größe Italiens in die Luft gesprengt zu werden, so daß die Seele ein paar Sekunden lang aus dem Körper fuhr. Und es gibt eine Erzählung „Che ti dico la patria“, die einen auf den Gedanken bringt, der Amerikaner könne es heute vielleicht ganz gräßlich finden, für die italienischen Aspirationen von 1915 und für ihre Folgen seine höchstpersönliche, vereinzelte und unfascistische Seele sekundenweis zu den Sternen geschickt zu haben. Hier nämlich, in zwei Episoden mit Fascisten, kann man mehr über den Fascismus nachlesen als in sämtlichen Biographien über den riesigen Staatsmann. Sehr froh scheint den Männern nicht zumute gewesen sein, weder in den Lazaretten des herbstlichen, kalten Mailands – wie melancholisch klingt der Titel dieser Erzählung: „In einem anderen Lande“ – noch in jener wunderbaren, schlaflosen Nacht auf dem Fußboden der Kriegshütte, während die Seidenraupen Maulbeerblätter fressen und das Gefressene ausscheiden; noch in seinem Gebirgsschützengraben, wo der italienische Major eine sehr seltsame Frage – „Eine einfache Frage“ – an seinen dunkelhäutigen Burschen stellt. „Und du wünschst dir nie, wirklich nicht -? Und bist du sicher nicht korrumpiert?“ – „Ich weiß nicht, was der Signor Maggiore mit korrumpiert meinen.“ – „Schön“, sagte der Major. „Du brauchst gar nicht so überlegen zu tun.“

Das also sind Männer ohne Frauen. Und dennoch ist in jeder dieser Erzählungen auf das kunstvollste eine erotische Spannung zu den unsichtbaren Frauen hin eingefügt. Ich will da noch schnell von einem anderen Hemingwayschen Mann ohne Frau erzählen, von einem, dem seine Frau in einem Gebirgsidyll abhanden kam. Einem Gebirgsbauern ist sein Weib gestorben. Wegen der Schneeverhältnisse kann er monatelang die Leiche nicht zu Tal tragen, um sie begraben zu lassen. So wartet er bis zur Schneeschmelze und währenddessen verstaut er sein Weib in seinem Holzschuppen. Aufrecht und vor Kälte steif steht es gegen die Wand gelehnt. Wenn der Bauer abends da hineinkommt, Holz zu zerkleinern, so hängt er dem Weib die Laterne in das herunterklaffene Maul. „Warum hast du denn das gemacht?“ fragte der Priester. – „Ich weiß nicht“, sagte Olz. – „Hast du das oft gemacht?“ – „Jedesmal, wenn ich nachts im Schuppen arbeitete.“ – „Das war Sünde“, sagte der Priester. „Hast du deine Frau geliebt?“ – „Ja und ob“, sagte Olz.

Dergleichen hat Maupassant nicht besser gedichtet, und auch Knut Hamsun nicht. „Das hättest du nicht tun sollen“, sagte Isaac auf Selanraa zu der Frau, die ihr Kind umgebracht hat.

Die Männer Hemingways lieben: das Angeln, die Stier- und die Boxkämpfe, das Skilaufen, den Alkohol und das Licht in all ihren Schattierungen, die Kameradschaft unter Männern. Und diese Männer, die ohne Frauen sind – lieben sie die unsichtbar gebliebenen Frauen – so sehr, oh so sehr! Ich will es verantworten, den Dichter, der dieses Geliebte so zärtlich, so männlich stark und mit der sicheren Hand eines Handwerkers gestaltet hat den großen europäischen Erzählern zuzurechnen.

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