Erich Kästner – Fabian. Die Geschichte eines Moralisten

Roman, Deutsche Verlags-Anstalt, 1931

Handelt es sich um einen politischen Roman? Ist er autobiografisch? Warum erschien er nicht unter dem von Kästner vorgeschlagenen Titel „Der Gang vor die Hunde“?

„Es läßt sich behaupten: Der „Fabian“ ist – neben Heinrich Manns „Untertan“ – der politischste Roman, den die Deutschen vor 1945 hatten“, ist in der von Walter Jens und Marcel Reich-Ranicki herausgegebenen Bibliothek des 20. Jahrhunderts zu lesen. Rudolf Arnheim dagegen schreibt in seiner „Weltbühnen“-Besprechung im November 1931: „Kästner schwenkt weder eine rote Fahne noch trägt er das Kreuz der Bahnhofsmission sichtbar an der Brust.“

Ist Kästners „Fabian“ tatsächlich ein politischer Roman?

Früh im Buch stellt sich die Hauptperson selbst dem Leser vor: „Fabian, Jakob, 32 Jahre alt, Beruf wechselnd, zur Zeit Reklamefachmann, Schaperstraße 17, herzkrank, Haarfarbe braun.“ Und schon sind wir bei der zweiten Frage: Ist „Fabian“ ein autobiografischer Roman? Schließlich ist Kästner bei Erscheinen des Buches am 15. Oktober 1931 32 Jahre alt; 1918 erkrankt er an einer Herzneurose und wird nach einem Lazarettaufenthalt aus dem Militärdienst entlassen. Verarbeitet der Autor in seinem ersten Prosawerk eigene Erfahrungen?

Das tut wenig zur Sache, meint Franz Schoenbrenner im „Simplicissimus“ und hebt vielmehr hervor, dass der Grundton des Romans „mit der charakteristischen Note von Kästners Lyrik vollkommen übereinstimmt.“

Und so spazieren wir mit Fabian durch die Großstadt Berlin, besuchen einen Klub zur Anbahnung zwischengeschlechtlicher Beziehungen, Bordelle, Unterweltkneipen und Künstlerateliers.

Das, was Fabian in diesen Etablissements erlebt, nimmt er mit feiner Ironie auf. Er ist der distanzierte Beobachter. Ein Realist, der glaubt, höchstens sich selbst verbessern zu können und aufgrund seiner Haltung vor jeglichen Enttäuschungen gewappnet ist. Sein Studienfreund Labude ist da anders gestrickt. Ein Idealist, der am liebsten die ganze Menschheit retten möchte und zutiefst unglücklich wird, als ihn seine Verlobte betrügt.

Dann begegnet Fabian Cornelia in einem Künstleratelier und es entwickelt sich eine Liebesbeziehung zwischen ihnen. Fabian entwickelt Ehrgeiz und gibt seine passive Grundhaltung auf. Doch am nächsten Tag schon verliert er seine Arbeit – während ein Kollege für seine entwickelten Ideen eine Gehaltserhöhung erhält, steht Fabian auf der Straße. Ein weiterer Schlag folgt auf dem Fuße: um ihre Karriere voranzutreiben und ihre Existenz zu sichern, geht Cornelia ein Verhältnis mit einem Filmdirektor ein. Zwar will sie Fabian davon überzeugen, dass dies auch in seinem Interesse sein kann, doch er kann dieses Arrangement nicht akzeptieren und beendet die Beziehung.

Schließlich begeht Labude Selbstmord, weil seine Habilationsschrift abgelehnt worden sei. Ein Scherz des Assistenten des Geheimrats, der die Arbeit bewertet und von ihr begeistert ist. Fabian verliert den Boden unter den Füßen. Er kehrt in seine Heimatstadt Dresden zurück.

„Es gibt kaum ein Buch, das unsere Zeit so einfängt wie dieses“, schreibt der Schriftsteller Peter Flamm über den „Fabian“ im „Berliner Tageblatt“. Ja, Erich Kästner hat mit seinem Roman die damalige Zeit eingefangen und er hat einen Roman über seine Generation geschrieben, eine Generation, die dabei sei, vor die Hunde zu gehen.

„Der Gang vor die Hunde“ – unter diesem Titel wollte Kästner seinen Roman veröffentlicht sehen. Sein Verlag, die Deutsche Verlags-Anstalt, sah das anders. Befürchtungen um eine mögliche Zensur führten zudem dazu, dass ein ganzes Kapitel und mehrere erotische Passagen aus dem Roman gestrichen wurden. Erst 2013 wurde im Schweizer Atrium Verlag die Originalfassung unter dem von Kästner geplanten Titel veröffentlicht.

Der Atrium-Band beinhaltet auch die Nachworte „für die Sittenrichter“ und „für die Kunstrichter“, die ebenfalls in der Erstausgabe fehlen. „Ich bin ein Moralist!“ schreibt Kästner darin. Und meint: die Handlungen der Menschen beruhen auf ethischen Grundsätzen. Seinem Titelhelden Fabian ist es unmöglich, sich in seine unmoralische Umgebung einzufinden.

Eine unmoralische Gesellschaft. Das ist das Bild, das Kästner entwirft.

Ja. Sein „Fabian“ ist ein politischer Großstadtroman. Er weist bereits auf die Schrecken hin, die nur knapp ein Jahr später Deutschland und auch die Welt erschüttern sollten.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s