Thomas Mann – Mario und der Zauberer

Novelle, S. Fischer Verlag, 1930

In welche Rolle schlüpft Thomas Mann als Erzähler? Ist „Mario und der Zauberer“ eine politische Novelle? Für was ist die Novelle ein Plädoyer?

Thomas Mann erzählt „ein tragisches Reiseerlebnis“. Er schlüpft in die Rolle eines Familienvaters, der mit seiner Frau und seinen beiden Kindern Urlaub in einem kleinen Badeort an der ligurischen Küste macht.

Der Badeort, das Grand Hotel, das seine überwiegend italienischen Gäste bevorzugt behandelt und seinen deutschen Gästen die Einnahme einer Mahlzeit auf der Terrasse verweigert, die unberechtigte Beschwerde einer italienischen Dame, die die Familie zum Umzug in eine Pension zwingt, die italienischen Badegäste, die laut sind und rücksichtslos, und mit ihren Kindern, ebenfalls laut und patriotisch, eine nationalistische und fremdenfeindliche Atmosphäre erzeugen, das viel zu heiße Wetter und der überfüllte Strand, das Bußgeld, das zu zahlen ist, weil die achtjährige Tochter für einen Augenblick nackt ihren Badeanzug im Meer wäscht …

Unschön. Aber eigentlich unbedeutende Erlebnisse, die beim Leser die Frage aufwerfen, warum die Familie nicht einfach abreist, sondern in dem kleinen Badeort bleibt.

Schmerzhaft belanglos. Schmerzhaft, weil Thomas Mann die einzelnen Erlebnisse detailliert beschreibt. Und wie er die Situationen wie unter einem Brennglas verdichtet, merkt man, dass Mann, in dem er ein unbedeutendes Erlebnis an das andere reiht, den geistigen Zustand des italienischen Bürgertums persifliert.

Dann kommt am Ende der Zauberer. Plakate kündigen ihn an und die Kinder des Erzählers bedrängen die Eltern, Karten für eine Abendveranstaltung zu kaufen. Zu der Vorstellung erscheinen sowohl Badegäste als auch Einheimische, unter ihnen der Kellner Mario, den die Familie kennt und ihn sympathisch findet.

Werbung des S. Fischer Verlags für Thomas Manns Novelle "Mario und der Zauberer" in der "Vossichen Zeitung" im Mai 1930.
Werbung des S. Fischer Verlags in der „Vossischen Zeitung im Mai 1930

Cipolla ist kein Zauberer, sondern ein Hypnotiseur. Im Laufe des Abends demütigt er einzelne anwesende Zuschauer. Nie aber sind es Adlige oder Bürgerliche, immer einfache Menschen, bei denen es ihm gelingt, sie der Lächerlichkeit preiszugeben. Dann holt Cipolla Mario, den Kellner, auf die Bühne. Ihm gelingt es, dass der Kellner die Liebe zu einer jungen Frau ausspricht und den Zauberer auf die Wange küsst – Mario ist in der Annahme, seine Liebe vor sich stehen zu haben.

Als Mario erwacht und die Situation erkennt, stürmt er beschämt davon. Bald darauf kommt er bewaffnet zurück. Mario erschießt Cipolla. Für den Ich-Erzähler ein sehr befreiendes Ende.

Ist Thomas Manns Novelle ein politisches Werk?

„Wahrscheinlich kann man vom Nichtwollen seelisch nicht leben; eine Sache nicht tun wollen, das ist auf die Dauer kein Lebensinhalt; etwas nicht wollen, also das Geforderte dennoch tun, das liegt vielleicht zu benachbart.“

Worte, die in der Novelle Manns Cipolla gelten. Aber können sie nicht auch auf Mussolini angewandt werden?

Ganz bestimmt. So wie Cipolla den Anwesenden der Veranstaltung seinen Willen aufgezwungen hat, so hat auch Mussolini dem italienischen Volk seinen Willen aufgezwungen.

Thomas Mann als politischer Erzähler. Auf jeden Fall ist die Novelle ein Plädoyer für freies Denken und Handeln jedes Einzelnen.

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