Arthur Schnitzler – Fräulein Else

Novelle, Paul Zsolnay Verlag, 1924

Wie viel Exemplare konnten von der Novelle bis zu Schnitzlers Tod verkauft werden? Wann wurde das Buch verfilmt? Welches unmoralische Angebot wird der Hauptperson unterbreitet? Als welche Gegentendenz wird die Wiener Moderne angesehen?

Wenden wir uns mit Arthur Schnitzler nun einem der bedeutendsten Vertreter der Wiener Moderne und einem von deren Spätwerken zu. Mit Fräulein Else, im Oktober 1924 als Vorabdruck in der „Neuen Rundschau“ erschienen, noch im gleichen Jahr im Verlag Paul Zsolnay als Buch veröffentlicht, gelang dem Autoren ein großer Erfolg: Bis Ende des Jahrzehnts wurden 70.000 Exemplare verkauft, die Novelle kam 1929 als Stummfilm in die Kinos. Diesen Erfolg konnte der Lebemann Schnitzler gut gebrauchen, wie eine Tagebuchaufzeichnung vom 21. Juli 1924 beweist: „Meine finanz. Verhältnisse verschlechtern sich rapid; dadurch dass die Zahlungen von allen Seiten ausbleiben.“

1900 hatte Schnitzler mit Leutnant Gustl den inneren Monolog als Stilmittel in die deutsche Literatur eingeführt, Fräulein Else ist seine zweite Monolognovelle.

Während ihres Urlaubsaufenthalts in einem italienischen Kurort, erhält Else, Tochter eines Wiener Rechtsanwaltes, einen Expressbrief der Mutter. Sie solle den Kunsthändler Dorsday um ein dringend benötigtes Darlehen bitten. Elses Vater habe Mündelgelder veruntreut und stehe kurz vor seiner Verhaftung.

In einem Gespräch mit Dorsday willigt dieser zwar ein, das benötigte Geld zur Verfügung zu stellen, unterbreitet Else aber ein unmoralisches Angebot: Als Gegenleistung fordert er die Erlaubnis, sie nackt betrachten zu können. Else reagiert zunächst empört auf dieses Ansinnen, erkennt aber schnell das Dilemma, in dem sie sich befindet. Würde sie Dorsdays Anliegen ablehnen, so wäre sie für die Verhaftung des Vaters verantwortlich.

Else ist zwischen ihren Gefühlen – Emanzipationsbestreben, exhibitionistische Wünsche, Liebesbedürftigkeit, Todessehnsucht – hin und hergerissen. Doch schon bald erkennt sie ihre Unfähigkeit, sich dem Anliegen des Vaters entgegenzustellen. Eingestreute Gedankenfetzen deuten bereits auf ihren Selbstmord hin.

Else, nicht in der Lage, sich allein auf das Zimmer des Kunsthändlers zu begeben, erfüllt dennoch Dorsdays Forderung, indem sie sich im Musiksalon des Hotels in dessen aber auch anderer Gegenwart ihres schwarzen Mantels entledigt und ihre Nacktheit zeigt. Sie täuscht eine Ohnmacht vor, wird auf ihr Zimmer gebracht, in dem sie ein bereitgestelltes Schlafmittel einnimmt. Else fällt in einen traumartigen Zustand.

Die Wiener Moderne wird oft als Gegentendenz zum Naturalismus gesehen. Es soll nicht mehr rein gegenständlich beschrieben, die Darstellung der Innenwelt des Menschen und seine Empfindungsfähigkeit aufgewertet werden. Dem hat sich Schnitzler, damalige Tabuthemen wie beispielsweise einen Ehebruch in Der Reigen aufgreifend, stets verschrieben. In Fräulein Else ist ihm, mit den Themen Sexualität und Selbstmord weitere Tabus darstellend, unter Verwendung des Stilmittels des inneren Monologs ein Kunstwerk gelungen, erhält doch der Leser einen direkten, tiefen Einblick in die inneren Konflikte der Hauptperson, schafft damit Identifikation und gleichzeitig Distanz zu Else, und zeigt indirekt das Bild einer Gesellschaft auf, die diese Person prägt.

Die Novelle ist als Band 18155 in Reclams Universal-Bibliothek erhältlich (ISBN 978-3150181553, 2,60 Euro). Ebenfalls über Reclam oder den Buchhandel zu beziehen: Lektüreschlüssel für Schülerinnen und Schüler (Band 15400), Erläuterungen und Dokumente (Band 16023) sowie eine Interpretation in Arthur Schnitzler. Dramen und Erzählungen (Band 17532).

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