Karin Michaelis – Der König kommt

Erzählung, Prager Tagblatt, Ausgabe vom 2. Oktober 1925

Widersprecht mir nicht, – denn das vertrage ich nicht! Wie meine Freundin sagt. Es gibt vielleicht noch viele grüne Inseln, meine ist und bleibt doch die schönste. Aber seht, das weiß König Christian nun nicht und das ist das Schändliche. Das ist der Grund, weshalb ich im Namen der ganzen Insel diesen Herzensseufzer hinaus in den Weltenraum schicke. Und dann aus einem kleinen Privatgrund, der später im Brief herauskommen wird.

Die Sonne schien und die Vögel sangen (oder vielleicht regnete es und die Vögel sangen nicht) und ich stand in meiner kleinen Küche, völlig in Anspruch genommen von der Weltbegebenheit, Vanillekränze durch die Fleischhackmaschine zu drehen. Meine geliebte Mutter hatte zarte Order bekommen, sich nicht in der Küche aufzuhalten. Darüber war sie tief beleidigt. Natürlicherweise kam sie der Order nicht nach. Das fehlte bloß! Sie ist 86 Jahre alt und aus der Zeit, wo nur die Hausfrau selber zu etwas taugte. Da ich ihre tochter bin – und Gnade mir Gott, das bin ich -, sind sowohl ich und mein Haus ihr absolutes Eigentum. Ich bin der Sklave, sie der Tyrann. Gelinde gesagt, ein Tyrann von fabelhaften Dimensionen. Ihr täglich Weise lautet folgendermaßen: Puck (das bin ich) ist so unvernünftig, so unvernünftig! Und sie betraut mich nicht damit, einen Deckel auf den Kochtopf zu setzen, aus Furcht davor, daß ich es verkehrt machen könnte. Nun haben wir einen Streit um Butter und Margarine gehabt. Mutter hat die Dreistigkeit – und dabei behauptet sie auch noch, nie zu lügen -, daß Kuchen, mit Margarine gebacken, besser schmecken als mit Butter. (Das so ersparte Geld soll nach meinem Tode – den sie mir als nahe bevorstehend prophezeit – auf die Kindeskinder übergehen. Darum darf ich meine Vanillekränze nicht mit Butter gebacken bekommen.) Aber diesmal führte ich den Krieg durch. Mutter schnaubte und ließ sich in der Küche nieder, um auf uns drei Untauglichkeiten zu passen, meinen kleinen Hausgeist, Unterzeichnete samt Mutters neuester Schwiegertochter, zur linken Hand unbesehen verlobt mit einem unverheirateten Bruder, den ich in Amerika habe. Sie hat ihn nie gesehen, aber derartige Kleinigkeiten rechnen wir nicht. Wir nennen sie nun Mutters Schwiegertochter. Auf dänisch heißt sie Herdis Bergström, und wo sie ist, langweilt man sich nicht.

Mutter schilt: Du bist so dumm, so dumm! Und wir machen uns nützlich, jeder auf seine kleine Weise. Der eine rollt aus, der andere schneidet aus, der dritte setzt auf die Platte. – Mutter paßt auf den Ofen.

Da geht die Tür auf: Botschaft vom Gemeindevorsteher, ob wir nicht flaggen wollten. Seine Majestät der König käme in einer Stunde vorbei!

Wenn der Gemeindevorsteher befiehlt, ist es nur billig, daß wir gehorchen. Aber auch ohne diese Botschaft von oben wären wir wohl selbst darauf verfallen, zu flaggen, wenn der „Goten- und Wendenkönig“ vorbeifährt. Wir sind doch wohlerzogen. An der Küste entlang wird nun Flagge an Flagge gehißt, in der Reihenfolge, wie des Amtsvorstehers Botschaft die verschiedenen Villen erreicht, die jede in ihrem kleinen Gartennest daliegt. Etwas später kommt abermals Botschaft, mit der ganz überwältigenden Neuheit, daß die Majestät sich nicht begnügt, vorbeizufahren, sondern gedenkt, in höchsteigener Person die Insel mit einem Besuch zu beehren. Mitten zwischen den Vanillekränzen standen wir und verneigten uns bis zur Erde. Herdis, die nächst mir die respektloseste ist, der ich begegnet bin, fällt es ein, die katastrophalen Worte zu sagen: Setzen Sie nur auf alle Fälle frische Blumen in die Vasen, denn Sie sollen nicht darauf schwören, daß der König nicht einzig und allein auf die Insel kommt, um zu sehen, wie Sie wohnen!

Ach, die Worte waren gesagt. Ich sandte meiner Herzensfreundin einen streng ermahnenden Blick, der bedeutete: Gesetzt, Mutter nimmt sie für Ernst! Aber Herdis war zu Ulk aufgelegt und spann ihn weiter: Was in aller Welt sollte der König sonst auf Thurö wollen? Nur von Ihnen und Niels Hansen (dem Maler) kann die Rede sein. Also selbstverständlich kommt er … Die Vanillekränze verbrannten, eine ganze Platte voll, daß nicht mal mein zottiger Freund, Bob, der sonst alles frißt, vom Stachelschwein an bis zu seinem eigenen Maulkorb, seine Zähne dazu brauchen mochte. Mutter warf den Kopf in den Nacken: Schweigt nun still mit all dem Schnack! Ihr stört mich, daß ich alles verbrennen lasse! Ihr könnt doch wohl begreifen, daß der König nicht hierher kommt …

Aber ich, die ich die alte Damen schon manche Jahre gekannt habe, sowohl in Sturm als in Stille, sah, daß Herdis‘ Worte auf eine trockene Stelle gefallen waren und gezündet hatten. Der Lump von Spaßvogel blieb dabei: Wir müssen wahrhaftig die silbernen Teller hervorholen, denn der König speist nur von Silber, und Schwiegermutter muß ihre feinste Mütze aufsetzen! – Schnickschnack, was ihr da redet! Shnickschnack, wir redeten und wir buken.

Gegen Abend sehe ich die alter Dame, bewaffnet mit Harke und Schareisen, sich in den Gartenwegen rühren, die gerade, was selten ist, im Zustand absoluter Unkrautlosigkeit befanden. Aber Mutter hatte Augen wie ein Luchs, zwei im Gesicht und eins auf jedem Finger, ihr kann man weder einen Liebesbrief verbergen noch den Brandfleck einer Zigarette auf dem Tischtuch. Das Unkraut hat solche Angst vor ihr, daß es von selber in die Erde sinkt, sobald sie sich nähert. Mutter braucht das Eisen und harkt. Ob ich nicht „ganz schnell“ die Nasturzien da ausgraben will und sie als Kante um das Beet drüben setzen? Ob ich nicht mit der Grasmaschine über das Stück Rasen unten am Wasser fahren will? Ob ich nicht …

*

Am nächsten Tag ist sie vor Tau und Tag auf den Beinen. Mein kleiner Hausgeist hat abgestaubt, aber Mutter folgt ihr auf den Fersen. Das Stuhlbein da! Unter der Flügeldecke! Man kann ja seinen Namen in den Staub schreiben! Und die Fensterbänke, wie die aussehen! – Ist die Flagge gehißt? Mutter schneidet Rosen ab. Erst die verwelkten in einen Korb, dann die frischen für die Vasen. Ich erscheine in meinem uralten Jät-Grab-Gieß-Baumwollkleide. Wie siehst du denn aus? Willst du das Kleid anbehalten? Das ist wirklich gut! Ich muß mich augenblicklich umziehen. – Geh an den Spiegel! Sieh, wie dein Haar sitzt! Du gleichst einer Nachteule! Mutter kommt mit dem Kamm, wie da ich sieben Jahr alt war. Mutter kämmt mein Haar, die Kreuz und Queer. – So, nun kann es angehen! Sind deine Hände rein? Ich muß meine Hände vorweisen.

Aber über den König kein Wort. Gottlob, so hat Herdis doch wohl keine Verheerung angerichtet mit ihren unzeitigen Reden gestern. Ich atme erleichtert auf, – bis ich sehe, wie Mutter sich die schwarze Seidenschürze vorbindet, die ich selbst mit roten Heideblumen bestickte, als ich das letztemal im Spendborger Krankenhaus lag (in das ich zwischendurch mal gehe, um es gut zu haben und verzogen zu werden). Die Schürze hat Mutter sonst nur vor, wenn sie des Sonntags vormittags abwechselnd Pastor Blädels Predigten und Thermanns Ärztebuch liest.

Am Mittagstisch erzählt Mutter mit heller Stimme von damals, „als der König als junger Prinz in Randers stand“. Von dem Ball, wo ihre Tochter (Unterzeichnete) selbigen Abends sowohl mit Prinz Christian als mit König Karl (späteren König von Norwegen) tanzte. Ihre schönen Augen strahlen. Sie erinnert sich jedes Wortes und sieht das Ganze vor sich. Ich werde wieder zwanzig Jahre. Während Mutter erzählt, scheint es, nach und nach, als ob der Prinz von damals wenigstens ihr Pflegesohn war. Sie verliebt sich in ihre Erinnerungen. Ihr Lächeln hat die Süße, wie der Duft von dunkelroten Rosen. auf mich, die schändlicherweise alle Einzelheiten vergessen hat, schilt sie, mild bewegt: Kannst du dich denn nicht erinnern, wie der Prinz zu den Fenstern hinaufgrüßte zu Vater und mir, wenn er die Scheunenhofstraße hinabritt? Ich ahne nichts. Wahrscheinlich grüßte der Prinz zu den Fenstern hin, er wußte ja, daß hinter jedem Spion einer oder mehrere saßen und auf den Gruß warteten. Und dann sagt Mutter: Ich möchte ihn nun doch gern einmal wiedersehen, ehe ich sterbe … Als ich vorschlage, Majestät ein Auto zu schicken und ihn zu Kaffee und Vanillekränzen einzuladen, winkt sie mit der Hand ab: Du schwätzest! Ich denke an etwas ganz anderes … Vielleicht denkt Mutter daran, daß meine vornehme Schwester in Amerika die große goldene Verdienstmedaille bekommen hat und wir anderen Geschwister nichts. Als wir klein waren, wurde ja fast das allerkleinste Stück Kuchen genau in fünf Teile geteilt. Mutter findet wohl, daß die Verdienstmedaille lieber in fünf kleine Bronzemedaillen geteilt werden sollen, für jede eine.

*

Der Tag neigt sich. Gegen Abend erfahren wir, daß der König die Insel besucht hat und wieder fortgefahren ist. Er fuhr nur bis zur Spitze der Insel, wo der Inhaber des Badehotels in Eile das Familiensilberzeug der Insel geliehen hatte, für den Fall, daß Majestät irgendetwas genießen wolle. Majestät genossen nur die Aussicht und ließen sich zusammen mit der Wirtin photographieren. Dann führ der König zurück, ließ sich von den Schulkindern, die in weißen Kleidern und mit geputzten Nasen erschienen waren, huldigen, gab im Pfarrhof seine Karte ab und war im Nu weg.

Armer König Christian! Da hat er das Glück, König über ein Land zu sein, innerhalb dessen Grenzen eine Insel wie Thurö liegt, der entzückendste Fleck Erde in dem bisher entdeckten Teile der Welt. Und dann begnügt er sich damit, im Auto quer über die Insel zu rasen, wo man nichts sieht. Das ist eine Sünde gegen den König – das ist eine Sünde gegen die Insel. Hier läuft ein Stieg am Wasser entlang. Er windet sich ein und aus, bald aufwärts, bald abwärts. Einen Stieg, wie diesen, findet man nirgends anders. Bald birgt er sich unter Jahrhunderte alten Eichen, die sich über teerschwarze Holzhütten aus der Heidenzeit grauen Tagen neigen, bald durchschneidet er paradiesische Gärten mit hohen Steintreppen, die, mit goldenen Nasturzien gesäumt, geradenwegs in den Himmel führen, bald erschmeichelt er sich einen Fußbreit zwischen Schilf und Rohr. Der König hat nicht den Stieg gesehen. Der König hat nicht Baggesens (der in den Varietés der ganzen Welt Teller zerschlägt), Küchlein, Entlein und den Zigeunerwagen in seinem Garten gesehen, der König hat nicht Niels Hansen großschnauzige kleine Rieke gesehen, die mich nicht grüßen will, weil der Weihnachtsbaum, mit dem ich im Winter angeschleppt kam, drei Zoll größer war als ihrer. Der König hat nicht „den alten Jörgen“ gesehen, der neunzig ist und beständig Freimarken und Geburtstagsbriefe sammelt. Den alten Jörgen, der voriges Jahr starb, aber als der Arzt kam, um die Leichenschau vorzunehmen, plinkerte Jörgen mit dem einen Auge: – Gautentag, Gaudentag!

Und der König hat nicht meine Mutter gesehen! Was der König auf die Weise nicht gesehen hat, ist des Königs Privatsache, aber meine Mutter ist meine Privatsache. Ich bins sonst gewohnt, ihr, wenn sie es wünscht, die Sterne vom Himmel herabzupfücken zum Schmuck für ihre feinen, selbstgemachten Mützen.

*

Und dann geschah es, daß Mutter, als sie mich am späten Abend zur Gutenacht küßt, leise sagt: Wenn ich nun hundert Jahre wäre, glaubst du nicht doch, daß der König dann hergekommen wäre, um mich zu besuchen und von Randers zu sprechen? Es wird mir so wunderlich dick im Halse und ich antworte: Ja, Mutter, das ist nun ganz gleich, denn wenn du hundert Jahre wirst, sollst du Besuch vom König bekommen, und wenn ich einen ganzen Extrazug nehmen soll, um ihn herüberzuschleppen. Mutter lächelt getröstet und glücklich, aber schüttelt dann den Kopf. Es ist nicht sicher, daß ich so lange lebe. Man kann ja nie wissen, man kann ja nie wissen … Worauf sie die Bänder der schwarzen Seidenschürze löst und zur Tür hingeht. Von dorther sagt sie: Die Vanillekränze hätten ihm nun doch geschmeckt …

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