Else Feldmann – Fetzenpuppe

Erzählung, Prager Tagblatt, Sonntagsausgabe vom 25. Januar 1931

Ich weiß es bestimmt, ich liebte die Puppen nur deshalb so sehr, weil sie mir helfen sollten in meiner Einsamkeit – damals mit kaum sechs Jahren. Ach, und was für Puppen! Ein altes, gänzlich zerrissenes Handtuch wurde hergenommen. Wie geschickt war ich im Anfertigen. Der Kopf wurde geformt, rund gemacht, schön rund. Eine Seite war vorne und hatte das Gesicht, die andere, rückwärtige, dachte ich mir mit dem Haar. Vom Gesicht war freilich nichts zu sehen, aber ich bestimmte ein für allemal, daß diese Seite „vorne“ war und Gesicht hieß. Die Arme wurden nächst der Schulter kreuzweise mit Zwirn angebunden, sie fielen nie ordentlich aus, entweder zu lang oder zu kurz; vier ganz gleiche „Rollen“ aus Stoffabfällen oder Leinwand wurden hergestellt – das waren Arme und Beine, die Beine ebenfalls angebunden, dort, wo Beine hingehören. Das Ganze bekam dann einen Namen. Liese oder Annerle oder wie ich selbst. Ich war die Mutter und das war das Kind. Es mußte mir gehorchen.

Aber es konnte wohl vorkommen, daß meine eigene Mutter so etwas erwischte, wenn sie „Ordnung“ machte, dann schüttelte sie das Ganze durcheinander, daß der Kopf und die Glieder vergingen und dann warf sie es zur Schmutzwäsche in den Korb. Und dann saß ich wohl in der Fensterecke und kränkte mich und trauerte um das Kind, das nicht mehr lebte; viele Tage gingen so in Kummer dahin, bis ich mich besann, daß man es ja nochmals machen könnte. Ich wartete bis die Mutter wegging, stöberte so lange im Korb herum, bis ich alles miteinander fand und machte es von Neuem.

Aber es war nicht sogleich dasselbe Kind. Die erste Zeit waren wir manchmal wie zwei Feinde; das geschah dann, wenn es verloren ging, lange nicht zu finden war, ich konnte noch so suchen, und wenn ich schon beinahe weinte vor Verdruß, fand ich sie tief unter Vaters Bett – ich selbst hatte sie dort versteckt, damit sie mir niemand nahm, während ich mich gerade hatte waschen müssen. Ja, es gab plötzlich Feindschaften zwischen ihr und mir, oftmals aus keinerlei Ursachen, sie hatte mir nichts getan, vielleicht nur deshalb, weil ich von anderen zurechtgewiesen oder ungerecht bestraft wurde. Da flog sie in die Ecke, ich trat sie mit dem Fuß. Aber mein Zorn währte niemals lange. Noch spüre ich die eigentümlich süße Beruhigung, die mein Gemüt fand, wenn ich mit Tränen und voll Reue zu ihr stürzte, sie an mein Herz nahm und auf die Stelle küßte, die ich aus lauter Trotz als Gesicht erklärt hatte, wenn man auch weder Augen noch sonst was sah. Aber am allerschönsten war es, wenn sie tagsüber meine Freundin, mein Kamerad war, neben mir saß und ich ihr alles erzählte, was ich wußte, in dingen, in denen ich mich gescheiter dünkte, ihr Lehrmeister wurde: wenn ich ihr von den Leuten erzählte, die ich auf der Gasse sah. Von dem dicken Juwelier Meyer, der, ehe er seinen Laden schloß, die Ringe und Goldsachen aus dem Schaufenster nehm und in die eiserne Kasse sperrte, wahrscheinlich wegen der Diebe. Und dem Papierhändler Winkler, der immer lange sein Sacktuch ansah, wenn er sich schneuzte. Und dem Fräulein vom Krawattengeschäft, das immer sagte: bitte, mich wieder zu beehrten. Und dem Hausmeister, der das Pflaster kehren mußte, und sich über alle Hunde der Nachbarschaft erboste, weil sie solche Schweine waren. Und von den Tauben erzählte ich ihr, die der Kirche gehörten und die immer herabgeflogen kamen, bis zu uns, weil sie vielleicht bei uns mehr Futter fanden. Hörst du das Kugruh? sagte ich zu ihr, das sind sie: weiß am Bauch und schwarz an den Flügeln. Alles vertraute ich ihr an. Wenn der Vater ins Zimmer trat, flüsterte ich zu ihr hin: still, rühr dich nicht, komm unter meine Schürze, er hat heute nichts verdient und ist schlecht gelaunt; erschrick nicht, wenn er schreit …

Wenn es Abend wurde, mußte ich Grießbrei essen; ich würde ihr gern davon gegeben haben, aber wie sollte sie schlucken ohne Mund? Tu mir wenigstens den Gefallen und iß mit zum Spaß und tun dann so, als ob du satt wärst. Dafür zeige ich dir die Sterne, bevor wir schlafen gehen. Denn dazu braucht man keine Augen, um etwas von den Sternen zu wissen. Wenn ich dich in mein Bett mitnehme – zur Belohnung, weil du brav warst, den ganzen Tag bei mir gewesen, mich nicht allein gelassen hast, bist du wieder mein Kind und ich bin die Mutter. Meine eigene Mutter steht dort und schaut herüber, ob ich schon schlafe – wir wollen so tun – versteck dich – sonst nimmt sie dich … – nein, fürchte dich nicht, ich halte dich – mach nur schön die Augen zu, Kind – laß dir was Schönes träumen …

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