Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull
Artikel in der Vossischen Zeitung vom 28. Oktober 1923
Es war einmal ein reicher Mann. Er lebte unter dem Gewaltherrscher Kahr im Bayernlande und wollte den Sinn seiner Freunde von der Not der schlimmen Zeit ablenken. Deshalb schickte er ihnen zwölf Tage lang Boten über Boten, um sie zu einem Festmahl zu laden. Als sie am festgesetzten Abend zu ihm kamen, erhob sich der Hausherr von der Festtafel und sprach: „Liebe Freunde, ich habe euch zunächst nur eine Suppe bereiten lassen. Wenn sie euch schmeckt, so sagt es mir. Euer Beifall wird mich ermutigen, euch bald die weiteren Gänge meines Mahls vorzusetzen.“
Wir, Thomas Manns Verehrer, stehen mit den verdutzten Gesichtern dieser Festgäste von seiner Tafel auf. Zwölf Jahre lang ist sein Hochstaplerroman angekündigt worden, und im Vortragssaal hat der Dichter selbst oft genug Felix Krull, den Werdenden, zu Worte kommen lassen. Nun legt er uns ein schmales Bändchen vor (Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart), das seinen Namen „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ mit dem Untertitel „Buch der Kindheit“ einschränkt. Dieses kleine Werk, in die „Bücherei zeitgenössischer Novellen Der Falke“ als zehnte rBand eingereiht, bringt wirklich nur den Auftakt des Romans, Felix Krulls Lehrjahre, von der Geburt bis zum Tode seines Vaters, der für ihn das Ende seiner Schulzeit bedeutet. Eine in unserem Feuilleton bereits erwähnte Schlußbemerkung bekennt, daß Thomas Mann die Arbeit im zwölften Jahre im zwölften Jahre ihres Entstehens vorläufig zurückgestellt habe, daß er aber „willig genug sei, sich durch freundliche Teilnahme, die das Fragment etwa finden mag, zur Fortführung und Beedigung spornen zu lassen.“
Fishing for compliments? Das hat Thomas Mann nicht nötig. So bleibt der Kritik nur übrig, festzustellen, daß das neue Werk um keinen Zoll vom Werte früherer Gaben abweicht. Das hat aber wieder die Kritik nicht nötig, da dieser Dichter nun einmal mit Schopenhauer um den „Ehrentitel eines Wenigschreibers“ wetteifert. So ist also das Ergebnis der Abstimmung, die er vornimmt, von vornherein gesichert. Es wird einstimmig beschlossen, daß der Roman des Hochstaplers aufs schnellste zu Ende gedichtet werden soll.