Hans Fallada – Kleine schwarze Hund, särr biese

Erzählung, Vossische Zeitung, 25. Dezember 1932

Es war einmal ein kleiner Junge, der hieß Thomas. Dem hatten seine Großeltern zu seinem ersten Weihnachtsfest einen kleinen Hund aus schwarzem Plüsch geschenkt, mit Hängeohren und frechen braunen Augen, eine Art Dackeltier, aber auf Rädern. Und da die Achsen dieser Räder nicht in ihren Mittelpunkten saßen, sondern etwas seitlich, hoppelte und wogte das schwarze Stoffgeschöpf auf und nieder, als haste es wild und über alle Kraft imaginären Hasen nach. Darum taufte der Vater den Hund ‚Hoppelpoppel‘, und als Thomas etwas älter war und sprechen konnte, akzeptierte auch er diesen Namen. Er liebte den Hund sehr, er mußte immer mit ihm schlafen, er wachte darüber, daß die Eltern nicht nur ihrem Sohn, sondern auch dem Hoppelpoppel ‚Gute Nacht‘ sagten – es war eben eine richtige Liebe.

Nun geschah es, daß Toms Eltern an einen neuen Wohnort verzogen, weit, weit weg. Der kleine Thomas blieb während der Umzugstage bei der guten alten Tante Kunjä und mit ihm natürlich Hoppelpoppel – wie hätte Tom sonst schlafen können? Nach einer Weile war es dann so weit: Tante Kunjä fuhr mit Tom und dem Hund zu dem neuen Häuserchen. Auf dem Bahnhof erwartete sie der Vater, und der kleine Tom war so selig und verlegen über dies Wiedersehen, daß er schnurstracks seinen Kopf durch des Vaters Beine steckte und so den abfahrenden Zug betrachtete. Dann gingen die drei Hand in Hand durch den Wald zur Mummi ins neue Häuserchen, und hier war dann der Moment, daß Tante Kunjä angedonnert stehen blieb: „Oh Gott, nun habe ich doch den Hoppelpoppel in der Bahn liegen gelassen!“

Der Vater machte rasch eine Kopfbewegung und sagte: „Reden wir nicht davon. Hier werden so viel neue Eindrücke sein, ‚er‘ wird ‚ihn‘ einfach vergessen.“ Der Sohn sagte noch nichts, er marschierte stramm auf seinen Beinchen zwischen den beiden Großen. Hier waren herrliche Bäume mit Pieksenadeln, dann kam ein Zwinger mit einem Hund, dann stand die Mummi unten auf der Treppe und hielt die Arme weit auf, dann gingen sie durch eine große Tür auf einen großen Balkon, und da unten war ein langes Wasser, und nun kam ein Dampfer um die Waldecke und ein Kahn, zwei Kahn, viele Kähne …

Die Nullnummer meines Projekts Fünf.Zwei.Vier.Neun.
setzt sich mit der Weltwirtschaftskrise
Ende der 1920er Jahre auseinander. Im Mittelpunkt
steht Hans Falladas Welterfolg „Kleiner Mann, was nun?“

Am Abend mußte der kleine Junge ins Bett, er war müde und selig und aufgeregt, aber als ihn die Mutter über die Bettleiter schob, sagte er: „Hoppelpoppel!“ Der Vater antwortete ernst: „Hoppelpoppel fährt noch mit der Puffbahn, Thomas, Hoppelpoppel kommt morgen.“ – Das Kind sah seine Eltern an, erst sagte es nichts, dann, als das Licht ausgemacht wurde, bat es wieder, dringend: „Hoppelpoppel!“ „Thomas muß jetzt schlafen“, sagte die Mutter streng und schloß die Tür von außen. Die Eltern standen atemlos und lauschten: nein, kein Gebrüll, kein Weinen, Stille. „Er wird sich beruhigen“, sagte Mummi. „Aber besser ist, du gehst morgen doch zur Bahn und machst eine Verlustanzeige.“ – „Schön“, sagte der Mann, „obgleich es keinen Zweck hat. Denn der Zug fährt weiter nach Polen und die werden uns grade einen Hoppelpoppel zurückschicken!“

Am nächsten Morgen machte der Vater seine Verlustanzeige, dann kam der Nachmittagsschlaf … aber nein, es kam kein Nachmittagsschlaf. „Hoppelpoppel!“ – „Hoppelpoppel kommt bald.“ – „Nun!“ „Gleich!“ – „Thomas muß schlafen.“ Gebrüll, Wut, aber kein Schlaf und am Abend dasselbe. Und das neue Häuserchen und das viele Wasser und der Garten und der Hund und die Dampfer, alles nichts – Hoppelpoppel! Hoppelpoppel, ein alberner schwarzer Stoffhund, war eine finstere Wolke am Himmel, nach drei Tagen überhing sie alles.

„Also morgen fahre ich nach Berlin und kaufe einen neuen Hoppelpoppel“, erklärte der Vater der Mummi. „Vielleicht kriegst du ihn gar nicht?“ – „Soll das bitte hier so weiter gehen?“ – Der Vater also fuhr und fand schließlich auch seinen Stoffhund, er fand genau den Hoppelpoppel. Er war lange herumgelaufen, er hatte viel Fahrgeld ausgegeben, aber: „Gottlob, heute nacht wird Tom endlich wieder ruhig schlafen!“

Er war so glücklich über seinen Hund, er hätte am liebsten aller Welt Gutes getan. Da war im Abteil ein Kind, es war ein ganz anderes Kind wie der Thomas, ein dunkles, blasses Kind, es war ein meckriges Kind, es war ein schwieriges, störendes Kind, aber es war ein Kind… Es saßen noch zwei Herren im Abteil, das hielt den Vater nicht ab, er machte Kuckuck mit dem Kind, er lenkte es ab, aber es halt nichts, es blieb ein schwieriges Kind. Der Vater nahm aus dem Netz das kleine, braune Paket, das Kind sah zu, er schnürte langsam das Paket auf, das Kind sah genau hin … „Was da wohl drin ist?“ – Er faltete das Papier auf, ließ ein bißchen sehen, mehr … „Hoppelpoppel“, sagte der Vater ernst. „Wauwau“, antwortete das Kind selig.

Es wurde nun doch eine sehr gute Bahnfahrt, siehe, der dicke, brummige Herr in der Ecke war ein rechter Großvater, er zog den Hoppelpoppel am Strick auf der leeren Bank zu sich hin, Hppelpoppel hoppelte, der Vater zog ihn am Schwanz zurück, das Kind jauchzte. Manchmal ging eine kleine Sorgenfalte über des Vaters Herz. „Wie weit fahren Sie?“, fragte er die Mutter des Kindes. „Bis Neu-Bentschen. Und Sie?“ – „Oh, ich muß viel früher raus. Ihr Junge wird den Hund ja bis dahin überhaben.“ – „Das weiß ich nicht“, sagte die Frau, „wenn er was liebt, dann liebt er es auch richtig.“ – „Na ja, eine Weile fahre ich ja noch“, sagte der Vater nachdenklich und ließ Hoppelpoppel bellen.

Der Vater kramte sein Papier vor, den Bindfaden: „Nun paß auf, jetzt geht Hoppelpoppel schlafen.“ Das Kind sah aufmerksam zu, dann, als der Hund im Papier verschwand, fing es an zu weinen. „Hoppäpoppä“, sagte es klagend. Alle redeten auf das Kind ein, das Kind weinte stärker, der Vater sagte: „Ich brauche ihn ja schließlich nicht eingepackt mitzunehmen, er kann ihn ja noch den Augenblick halten …“ Das Kind nahm den Hoppelpoppel in den Arm, es lächelte, es lächelte, lieber Himmel! es war doch ein sehr ähnliches Kind …

Der Zug fuhr langsamer, der Zug hielt. „Nun gib dem Onkel den Hoppelpoppel.“ Das Kind hielt den Hund fest. „Gibst du -!“ – „Aussteigen!“ – „Du sollst den Hund loslassen!“ – „Gib mir doch den Wauwau, bitte, bitte, ich habe auch einen kleinen Jungen …“ – „Sie wollen noch raus? Bitte beeilen!“

Alles ging durcheinander, das Kind weinte schmerzlich, der Schaffner schimpfte, eine Hand (es war die Hand der Mutter) riß an der klammernden Kinderhand, das Weinen wurde lauter, der Vater stand draußen mit seinem Hoppelpoppel, er dachte verwirrt: „Wenn er was liebt, dann liebt er es auch richtig …“ Der Zug fuhr an, der Vater riß die Tür wieder auf, warf den Hund hinein, der Zug fuhr schneller, am Abteilfenster waren Mutter und Kind zu sehen, das Kind hielt den Hoppelpoppel…

Der Mann ging langsam durch den dunklen Wald nach Haus, er hatte es nicht eilig. Wenn er zu Haus sein würde, würde sein Junge grade ins Bett gebracht, er würde betteln: „Hoppelpoppel!“ Der Mann bereute nicht, er war nur traurig, es war irgend etwas nicht in Ordnung auf dieser Welt, irgend etwas stimmte nicht … Dem einen geben, daß der andere weint -?

Der Mann schloß die Tür auf, oben krähte der Junge. Der Mann ging langsam und leise die Treppe hinauf, er hängte leise den Mantel fort, er zog seine Hausschuhe an … schließlich mußte er doch die Tür aufmachen …

Da saß sein kleiner Sohn am Tischchen vor seinem Haferbrei, da stand der Hoppelpoppel! Der Hoppelpoppel mit einem langen, langen Zettel aus dem Hals. „Sieh nur, Mann“, sagte die Mummi. Auf dem Zettel standen viele bahnamtliche Vermerke, aber da stand auch: „Zbaszyn (Bentchen). Kleine, schwarze Hund, särr biese, beißt …“

„Kleine schwarze Hund, särr biese …“, sagte der Vater langsam. Komisch: plötzlich war die Welt wieder in Ordnung.

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