Drama, Uraufführung 1906 (Berliner Kammerspiele), 1923 erstmals verfilmt
Auf wen übt Wedekinds Werk Einfluss aus? Wer schrieb seine Biographie? Wie lautet der Untertitel des Dramas? Bis wann wurde das Stück verboten oder zensiert?
Als am 9. November 1918 von einem Fenster des Reichstagsgebäudes aus von Philipp Scheidemann der Zusammenbruch des Deutschen Kaiserreichs verkündet und die Deutsche Republik ausgerufen wird, ist Frank Wedekind bereits einige Monate tot. Am 9. März des gleichen Jahres stirbt der Dramatiker in München an einer Herzschwäche sowie einer Lungenentzündung. In Vergessenheit gerät er – während seiner Schaffenszeit unzählige Skandale hervorrufend und wiederholt aufgrund sexuell anstößiger Inhalte von der Zensur betroffen – aber auch in den Folgejahren nicht. Zu großen Einfluss übt sein Werk auf unzählige Schriftsteller aus; als Beispiele seien hier Bertolt Brecht und Carl Sternheim genannt.
Zwangsläufig erscheint 1922 der erste Band seiner Biografie; zwei weitere Bände folgen in den Jahren 1927 und 1931. Autor ist der Literatur- und Theaterwissenschaftler Artur Kutscher. In Berlin habilitiert, lehrt er ab 1915 in München. Zu seinen Studenten zählen unter anderem Bertolt Brecht und Ödön von Horváth.
Wenden wir uns mit dem Drama Frühlings Erwachen dem bekanntesten Schauspiel Wedekinds zu. Zwischen Herbst 1890 und Ostern 1891 geschrieben, erscheint die Erstausgabe im Oktober 1891 in einem Schweizer Verlag. Wedekind selbst übernimmt die Herstellungskosten, ein Münchner Verleger hatte sich aus Angst vor juristischen Konsequenzen von dem Buchprojekt zurückgezogen.
„Ich begann zu schreiben ohne irgendeinen Plan, mit der Absicht zu schreiben, was mir Vergnügen macht. Der Plan entstand nach der dritten Szene und setzte sich aus persönlichen Erlebnissen oder Erlebnissen meiner Schulkameraden zusammen. Fast jede Szene entspricht einem wirklichen Vorgang“, äußert sich Wedekind selbst zur Entstehungsgeschichte des Dramas. Als Vorbild für eine der Hauptpersonen, Moritz Stiefel, dienen Wedekind seine Mitschüler Frank Oberlin und Moritz Dürr, die 1883 und 1885 Selbstmord begangen hatten. Melchior Gabor, der einzige Freund Moritz Stiefels, zeigt offensichtlich den jungen Wedekind selbst.
In seiner „Kindertragödie“ – so der Untertitel des Werkes – beschreibt Wedekind die pubertäre Phase Heranwachsender sowie die Doppelmoral Erwachsener im wilhelminischen Deutschland. Im Mittelpunkt der Handlung stehen die 14-jährigen Melchior Gabor, sein Freund Moritz Stiefel und Wendla Bergmann, die von den Erwachsenen mit ihren pubertären Nöten, vor allen Dingen ihrem aufkommenden Sexualtrieb, allein gelassen werden. Am besten kommt damit Melchior zurecht, der sich das notwendige Wissen aus Büchern und Zeitschriften zusammengetragen hat. Moritz, zudem noch in schulischen Schwierigkeiten steckend – seine Versetzung ist gefährdet – ist verstört über die ihn überfallenden sexuellen Gefühle, die große Schuldgefühle bei ihm hervorrufen. Melchior versucht, Moritz zu helfen, und erstellt ihm eine Aufklärungsschrift. Auch in Wendla erwacht die Sexualität, deutlich dargestellt in der fünften Szene des ersten Aktes, in der sie Melchior im Wald trifft und ihn bittet, sie zu schlagen. Auf ihre in kindlich-naiver Art gestellten Fragen erhält sie weder von ihrer Mutter noch von ihrer im Wochenbett liegenden Schwester Antworten. Der Klapperstorch würde die Kinder bringen, bei großer Liebe und wenn Mann und Frau miteinander verheiratet wären, erfährt sie.
Das wird Wendla zum Verhängnis, als sie aus Neugierde mit Melchior schläft, und ein Kind von ihm erwartet. Als sich die Schwangerschaft nicht mehr leugnen lässt, drängt ihre Mutter sie zur Abtreibung, an der Wendla stirbt.
Bereits vorher stirbt Moritz. Da er nicht versetzt werden soll, erschießt er sich, weil er seinen Eltern die Schande, dass er eine Klasse wiederholen muss ersparen möchte. An seinem Grab sagt sein Vater: „Der Junge war nicht von mir!“
Die Schuld an seinem Tod schiebt die Lehrerkonferenz Melchior zu, als die von ihm erstellte Aufklärungsschrift bei Moritz’ Schulsachen aufgefunden wird. Zunächst stellt sich seine Mutter schützend vor ihn, doch nach Wendlas Tod kommt er in eine Besserungsanstalt, aus der er schließlich flüchtet, um aus Schuldgefühlen ihr Grab auf dem Friedhof aufzusuchen.
Dort begegnet ihm Moritz, den Kopf unter dem Arm tragend, und will Melchior zum Selbstmord verführen. Bevor dies geschieht, taucht ein unbekannter, vermummter Herr auf – bei der Uraufführung des Stückes am 20. November 1906 unter der Regie von Max Reinhardt spielt Wedekind selbst diese Person-, der Melchior vom Friedhof führt. Moritz zieht sich wieder in sein Grab zurück.
Früher wegen angeblicher Obszönität verboten und zensiert (und das bis in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts), ist das Drama mittlerweile Schullektüre.