Aus der Lyrikanthologie „Um uns die Stadt“, Sieben-Stäbe-Verlag, 1931
Lichtbänder zucken über Häuserschächten.
Steile Fassadenfronten stehen stramm.
Rolltreppen schaufeln Menschen aus den Nächten
Der Untergrundbahn auf den Straßendamm.
Geschrei. Geklingel. Hupen und Sirenen.
Schaufenster. Banken. Warenhäuser. Bars.
Haushoch und lächelnd mit entblößten Zähnen
Das Riesenbrustbild eines Kinostars.
Zigarrenhandlungen. Cafés mit Diele.
Bei Bogenlampen Straßenübergang.
In weiter Schlangenflucht Automobile,
Sechsfache Reihen, unabsehbar lang.
General Motors - Daimler - Horch - Mercedes -
Studebaker - Chrysler - Opel - Fiat - Ford -
In seinen Flanken zitternd lauert jedes
Auf freie Fahrt und neuen Rennrekord.
Das Licht ist rot. Fußgängervölker wandern
Quer durch die Wagenfront in gleichem Trott.
Der Sipo trennt die einen von den andern
Nur mit der Geste, wie ein alter Gott.
Von der Gewalt steht eingekesselt
Allein sein Umriß ragend im Orkan.
Das Licht wird grün. Ein Chaos wird entfesselt.
Bewegung stürzt sich in die offne Bahn.
Im Rhythmus wechselnd hämmert die Mechanik.
Gewühl und Stillstand. Rast und Raserei.
Gehemmtes Warten. Atemlose Panik.
Die Bahn versperrt sich. Und die Bahn wird frei.
Die Ampeln flammen mystisch-unergründlich.
Auf "Halt" folgt "Durchfahrt" und auf "Durchfahrt" "Halt".
An jeder Straßenecke sausen stündlich
Zehntausend Autos über den Asphalt.
Am Dachsims klettern unaufhörlich sinnlos
Die Lichtreklamen für Konfekt und Sekt.
Hier streut das Schicksal Nieten und Gewinnlos.
Hier wird gelebt, genossen und verreckt.
O Stadt der Pferdekräfte und der Kabel,
Voll Not und Reichtum, Hunger und Geschlemm -
Ich nenne Dich bei Deinem Namen, Babel,
Sodom, Gomorrha - und Jerusalem!
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