Ricarda Huch – Der Fall Deruga

Kriminalroman, Ullstein Verlag, 1917

Was wird dem Arzt Dr. Deruga vor Gericht vorgeworfen? Worin besteht vor allen Dingen die große Kunst der Autorin?

Kriminalromane sind meine Leidenschaft, egal ob es sich um den guten alten britischen Hausfrauenkrimi a la Agatha Christie, Dorothy Sayers oder Ngaio Marsh (Victor Gunn mit seinen Romanen um den kauzigen Inspektor Cromwell nicht zu vergessen), den sozialkritischen skandinavischen Krimi, der, ausgehend von den Romanen Sjöwall/Wahlöös in Person von Håkan Nesser, Henning Mankell oder Jo Nesbø die deutschen Bestsellerlisten stürmt oder den schwarzen Hard-boiled-Krimi der Autoren Chandler, Woolrich oder des Franzosen Léo Malet handelt, alle diese Bücher habe ich verschlungen. Deutsche Kriminalautoren und ihre Bücher gehen in meinem Krimiregal förmlich unter. Schön, dir im Rahmen dieses Blogs mit Der Fall Deruga einen klassischen Kriminalroman deutscher Sprache vorstellen zu können. (Im Übrigen: Neben Friedrich Glausers Wachtmeister Studer– und drei Dürrenmatt-Kriminalromanen fällt mir kein weiteres Buch ein, das diese Bezeichnung verdient).

In München steht der aus Italien stammende Arzt Dr. Deruga vor Gericht. Man wirft ihm vor, seine Frau, von der er seit 17 Jahren geschieden ist, durch Gift getötet zu haben. Ausgelöst wird der Prozess durch die attraktive Baronin Truschkowitz, eine Cousine und nächste Verwandte der Toten. Wurde bei der toten Frau zunächst ein Herzversagen diagnostiziert, so setzt die Baronin eine Exhumierung des Leichnams durch, als das Testament deren Exmann als Alleinerben ausweist. Die Exhumierung ergibt, dass die Tote mit Gift ermordet wurde.

Deruga kann für die Tatzeit kein ausreichendes Alibi vorweisen. Auch sein sonstiges Verhalten vor Gericht ergibt das Bild eines leicht erregbaren, hinterhältigen Charakters. Vor allen Dingen die Baronin Truschkowitz ist von Derugas Schuld überzeugt. Sie engagiert den Rechtsanwalt Dr. Bernburger, um zusätzliches Belastungsmaterial gegen den Angeklagten zu finden.

Im Laufe des Prozesses – und das ist von Ricarda Huch meisterhaft in Szene gesetzt – ergibt sich ein ganz anderes Bild von Deruga. Er ist ein Mann von innerer Wahrhaftigkeit, mit einem unbändigen Willen nach Gerechtigkeit ausgestattet, voller Leidenschaft, aber mit ihr verbundener Sensibilität. Seine Frau hat er geliebt, auch nach ihrer Trennung konnten sich die beiden unterschiedlichen Charaktere nie innerlich voneinander lösen.

So sehr Deruga im Prozessverlauf an Sympathie beim Publikum gewinnt (auch Baronin Truschkowitz macht da keine Ausnahme), umso deutlicher belasten ihn die Indizien als mutmaßlichen Täter.

Dr. Bernburger, der von der Baronin Truschkowitz mit Recherchen beauftragte Rechtsanwalt, stößt rein zufällig auf die Lösung des Falles. Seit Jahren durch ein unheilbares Krebsleiden ans Bett gefesselt, bat die kranke Frau, als die Krankheit in ihre letzte Phase trat und die Schmerzen unerträglich wurden, ihren Exmann, sie von ihrem Leiden zu erlösen: „Du bist der einzige, der mich lieb genug hat, mich zu töten“, schreibt sie an Deruga. Und dieser, sowohl von der Liebe zu ihr getrieben als auch von seiner Meinung, jedes Lebewesen habe das Recht, frei über sich entscheiden zu können, erfüllte ihr den Wunsch.

Obwohl im rechtlichen Sinne schuldig, spricht das Gericht Deruga frei. Wenige Tage nach Beendigung des Prozesses nimmt sich der Arzt das Leben, das ihm nach dem Tod seiner geliebten Frau nichts mehr wert scheint.

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