Roman, S. Fischer Verlag, 1928
Basiert der Roman auf wahren Begebenheiten? Worunter leidet die Hauptperson, der Gymnasiast Etzel Andergast? Was begeistert mich an dem Buch?
Der 16-jährige Gymnasiast Etzel lebt mit seinem Vater, dem Oberstaatsanwalt Wolf Freiherr von Andergast, in Frankfurt am Main. Die Ehe seiner Eltern wurde vor Jahren geschieden. Der Jugendliche leidet stark unter der strengen Korrektheit des Vaters, der die Erziehung seines Sohnes mit dem gleichen Pflichtgefühl wie das Aktenstudium betreibt. Konsequent wird Etzel von seiner Mutter ferngehalten.
Etzel stellt fest, dass sein Vater seit Tagen von einem alten Mann verfolgt wird. Als er ihn trifft, stellt sich dieser als Maurizius vor. Seine Fragen an den Vater bezüglich des alten Mannes bleiben unbeantwortet, erst seine Großmutter, bei der er sonntags zu Mittag isst, führt ihn in den Fall Maurizius ein. Vor fast zwanzig Jahren hatte Etzels Vater, damals Staatsanwalt, den Kunsthistoriker Leonhart Maurizius des Mordes an dessen 15 Jahre älteren Frau Elli angeklagt. Die Liebe des Angeklagten zu seiner schönen und jungen Schwägerin Anna Jahn schien als Tatmotiv einleuchtend, wurde zudem durch die unter Eid geleistete Aussage des Hauptbelastungszeugen Gregor Waremme unterstützt, der gesehen haben wollte, wie Maurizius seine Frau erschoss. Obwohl Maurizius kein Geständnis ablegte, wurde er aufgrund der Indizien zum Tode verurteilt, das Urteil in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt.
Als Etzel im Arbeitszimmer des Vaters das Gnadengesuch des alten Maurizius entdeckt, sucht er den alten Mann auf. Von ihm erfährt er, dass dessen Sohn vor seiner Ehe mit Elli ein uneheliches Kind hatte, das er nach dem Tod der Mutter mit Hilfe Anna Jahns nach England zur Pflege geben ließ – Ausgangspunkt der Streitereien zwischen den Schwestern, die in Ellis Drohung gipfeln, erst ihre Schwester und dann sich selbst umzubringen. Gregor Waremme habe den Namen Warschauer angenommen und lebe in Berlin.
Etzel leiht sich von seiner Großmutter Geld und macht sich, von Maurizius Unschuld überzeugt, auf den Weg nach Berlin. Dort will er Waremme befragen, die Wahrheit im Fall Maurizius aufdecken. Seinen Vater informiert er per Brief über sein Vorhaben. Dieser lässt sich die Akten des Falles heraussuchen und sucht Maurizius im Gefängnis auf. Dieser glaubt nach wie vor an seine Rehabilitation. Maurizius kann den Oberstaatsanwalt von seiner Unschuld überzeugen. Betroffen vom mitverschuldeten Justizirrtum reicht der Oberstaatsanwalt ein Gesuch zur Begnadigung von Maurizius ein und beantragt seine eigene Pension.
Gleichzeitig gelingt es Etzel, Warschauer alias Waremme zu bewegen, seinen mittlerweile verjährten Meineid zu gestehen. Anna habe geschossen, gibt dieser zu. Zum einen wollte sie Leonhart allein besitzen, zum anderen hatte sie Angst vor der in Eifersucht unberechenbaren Schwester gehabt.
Maurizius wird aus dem Gefängnis entlassen und begibt sich zu seinem Vater. Dieser stirbt noch am Tag des Wiedersehens. Auch der Weg zu seinem unehelichen Kind ist ihm versperrt. Und Anna, die er aufsucht und die mittlerweile verheiratet ist und zwei Kinder hat, will von der Vergangenheit nichts mehr wissen. Das Opfer, das Maurizius durch sein Schweigen gebracht hat, war sinnlos. Von allen menschlichen Bindungen abgeschnitten, wählt er den Freitod.
Etzel kehrt nach Hause zurück. Als er vom Gnadengesuch des Vaters erfährt, geraten beide in einen heftigen Streit. Etzel verlangt die vollkommene Rehabilitation des zu Unrecht Inhaftierten. Er zerreißt die Bindungen zu seinem Vater und bekennt sich zu seiner Mutter. Der Oberstaatsanwalt bricht darüber zusammen und muss in eine Anstalt gebracht werden.
Ein Buch, das in dieser letzten, den Zerfall gesellschaftlicher Ordnung aufzeigenden Reise durch die Literatur der Weimarer Republik nicht fehlen darf, blickt es doch schonungslos hinter die Fassaden des wilhelminischen Zeitalters. Sicher, die Sprache mag uns heutzutage antiquiert vorkommen, aber sie hakt sich fest ins Bewusstsein, wühlt dort und lässt uns teilhaben am Geschehen.
Der Fall Maurizius basiert auf einem wahren Fall, dem des Rechtsanwalts Hau, der 1907 wegen Mordes an seiner Schwiegermutter aufgrund von Indizien verurteilt worden war. Wassermann gestand Ähnlichkeiten zwischen dem wahren und dem fiktiven Fall ein, war aber stets von der Schuld Haus überzeugt. Maurizius aber sollte unschuldig sein.
Das Buch, im Oktober 1927 vollendet, im Februar 1928 beim S. Fischer Verlag veröffentlicht, wurde ein großer Erfolg. Die für damalige Verhältnisse hohe Startauflage von 30.000 Exemplaren war schnell vergriffen, bereits anderthalb Jahre nach Erscheinen waren 100.000 Exemplare verkauft. Das Buch wurde zudem in viele Sprachen übersetzt.