Erzählung, abgedruckt im Unterhaltungsblatt der Vossischen Zeitung am 17. April 1932
Wir alle haben es erlebt, wie eine Frau über Nacht ihr ganzes Wesen, um der Liebe willen, verwandelte. Wie oft haben wir nicht lachen müssen, wenn plötzlich eine kunstfremde Freundin anfing, meterlange Vorträge über Kunst und Kunstgeschichte zweier Weltteile zu halten. Sofort wußten wir: Da hat sie sich wieder einmal verliebt, und diesmal ist er ein Künstler. Oder ein Kunsthistoriker?
Ich habe mich seit Jahren damit beschäftigt, Stoff zu sammeln, um einmal zu zeigen, bis zu welchem Grad diese Frauenwandlungen sich steigern können, und wie doch, trotz alledem, die Frau sich innerlich treu bleibt, und immer nur in eine der drei Kategorien fällt: Mutter, Geliebte, Kameradin. Neulich habe ich eine vierte Kategorie entdeckt: die Gesellschafterin.
Von einer solchen will ich hier erzählen. Meine Freundin hatte sich zuerst durch lange und langweilige Jahre damit befaßt, bei einer alten Tante am Fenster zu sitzen und Stramin zu besticken, ohne je auch nur die leiseste Spur von Langeweile zu zeigen. Immer liebenswürdig, immer bereit, alles für die alte Dame zu tun, immer willig, langsam spazierenzugehen, oder jene kleinen Geschichten anzuhören, die sie schon hundertmal gehört hatte. Kurz und gut: eine ideale Gesellschafterin.
Dann kam die Ehe, ein wunderbares, unerwartetes, hart errungenes Glück. Sie heiratete einen frommen Herrn Pastor, und während der Brautzeit schon entwickelte sie eine rege Tätigkeit innerhalb seiner Herde. Als Gattin war sie so liebreich, daß sie jedes Herz rühren mußte: sie lebte und atmete nur, um für ihn zu arbeiten und mit ihm seine geliebte Gemeinde glücklich zu machen. Sie stieg treppauf, treppab, verbrachte Stunden bei armen Leuten, immer gleich süß, gleich heiter, als ob jene Besuche für sie die endliche Erfüllung eines Wunschtraumes wären. Ihr Gatte lebte so recht, wie es sich für einen Gottesmann ziemt. Er verschenkte alles, seine Habe, seine Zeit, seine Liebe. Und sie tat es ihm nach.
Ich überspringe ihre erste Ehe und stürze mich in ihre zweite und offeriere aus dieser nur einen winzig kleinen Ausschnitt. Mann Numero Zwo war schwer reich, nicht gerade herrlich schön, nicht blendend begabt, dafür aber voller Selbstgefühl. Sie nahm ihn nicht aus lauter Liebe, aber auch nicht seines Geldes wegen, sondern weil er sie so heftig begehrte, daß sie sich einfach nicht zu retten wußte. Nun hätte sie ja, bei seiner stürmischen Verliebtheit, mit Berechnung alles aus ihm herausholen können. Vielleicht hätte sie ihn sogar zu etwas Menschlichem erziehen können. So etwas lag ihr fern. Anständig, wie sie war, beschloß sie, auch ihm eine gute Gattin-Gesellschafterin, wie ich es nenne, zu werden und zu bleiben. Also mußte sie sich gänzlich umstellen. Sie tat dies mit einer solchen Vehemenz, daß wir, die wir sie vorher gekannt hatten, uns ungläubig die Augen rieben. Wie viele schwerreiche Männer war der neue Gatte sehr kleinlich. Er verschleuderte Unsummen, wenn es seiner Eitelkeit galt, und feilschte sonst um ein paar Pfennige. Sie tat es ihm nach. Nur in einer, aber auch nur in einer Richtung, blieb sie die alte: sie liebte ihre Jugendfreundinnen, und liebte diese besonders, weil sie ja ihre wirkliche Glückszeit miterlebt hatten. Sie mochte diese Freundinnen nicht entbehren und muß, denke ich mir, deshalb innerhalb ihrer vier Wände verschiedene kleine Auseinandersetzungen mit Mann Numero zwei gehabt haben. Der war sicher nicht beglückt, Zeugen früherer Zeiten umherlaufen zu sehen, die Vergleiche anstellen konnten. Aber er machte gute Miene zum bösen Spiel.
Die Frau, nennen wir sie Anna, die vorher bereit war, ihr letztes Hemd zu verschenken, um ihrem Mann damit einen Gefallen zu tun, ging nun zum andern Extrem über. Und weil sie eine Frau war, wurde sie besonders kleinlich. Ein kleinlicher Mann entbehrt nicht der Komik, eine kleinliche Frau wirkt immer tragisch. So kam es, daß sie, die einmal, um Fahrgeld zu sparen, weite Wege zu Fuß hatte gehen müssen, und später, wenn sie sich eine Autofahrt leisten konnte, das Gefährt mit alten armen Leuten überfüllt hatte, nun bei jeder Gelegenheit seufzte und klagte, sie wäre gezwungen, täglich ein paar Stunden Auto zu fahren, man müsse dem Schofför doch Arbeit geben! Sie bedachte nicht, daß die allgemeine Not nicht gesunken, sondern gestiegen war, und daß es noch immer alte Menschen gab, die überglücklich gewesen wären, einmal im Jahr ins Freie zu kommen. In Samt und Seide und Pelz gehüllt, saß sie hingegossen neben „ihm“ im Wagen, unaufhörlich seine Sprache sprechend, seinem Redeschwall lauschend, innerlich wohl maßlos gelangweilt und doch fest entschlossen, so zu sein, wie er sie wünschte.
So standen die Dinge zu jener Zeit, als die „Ueberraschung“ stattfand. Wir, ihre beiden Freundinnen, erhielten eines Tages eine schöne Einladung zu ihrem Geburtstag. Sie war von ihr selbst geschrieben mit einer Nachschrift des Mannes. Sie wünsche, diesen Tag nur in engem Kreise, das heißt mit ihm und mit uns zu verbringen, und verspreche uns eine wunderbare Ueberraschung. Er fügte hinzu: Ich freue mich mit meiner heißgeliebten Frau, ihre besten treuesten Freundinnen an diesem Festtag bei uns zu sehen, und habe eine Ueberraschung vorbereitet, welche, hoffe ich, unsere Freundschaft noch mehr befestigen wird!
Wir besprachen unter uns, was das wohl bedeuten könne. Auf einmal überlief es uns kalt: beide hatte uns dieselbe Angst beschlichen. Um Gottes Willen, der Kerl wird uns doch nicht eine Rente ausgesetzt haben, wie der in großer Bedrängnis lebenden Generalstochter, die er, wie wir gehört hatten, in seinem Testament bedacht hatte und seither schlechter als einen Köter behandelte. Nein, so etwas würde er wohl nicht wagen! Jedenfalls nahmen wir uns vor, auf der Hut zu sein.
Der Tag brach an. Obwohl wir uns erinnerten, wie Anna uns zur letzten Weihnacht mit einem halben Kilo billigen Konfekts überwältigt hatte, beschlossen wir doch, diese Großtat mit einem Blumenstrauß zu vergelten. Sie holte uns im eigenen Wagen ab; es geschah zum erstenmal. Der Wagen war mit blauem Brokat ausgeschlagen. Sie berichtete ausführlich, wie lieb und aufmerksam es von ihrem Manne gewesen sei, daß er gesagt habe: Weißt du, du könntest ja deine Freundinnen abholen. Das wird ihnen eine große Freude machen, mal in einem Privatauto zu fahren. Wir hatten uns schon daran gewöhnt, solchen Reden stillschweigend zuzuhören. Wir wechselten nur einen Blick, lächelten dankbar und erklärten überzeugend, daß eine solche Ehre uns nie zuvor widerfahren sei.
In der Wohnung, einem richtigen Palast mit Diener, Orchideen und vergoldetem Besteck, wurden wir sehr geheimnisvoll empfangen. Der Hausherr sah endlich einmal menschlich aus. Seine Freude war so echt, daß es uns fast mit ihm aussöhnte, und wir eine gewisse Reue wegen unserer vielleicht übertriebenen Abneigung empfanden. Sofort begann er von der Überraschung zu reden. Er habe, sagte er, die letzten Wochen kaum an etwas anderes denken können als an diese Freude, die er uns vorbereitet habe. Gewiß, er hätte viel Freunde, und seine Frau habe ja auch andere und neue und sogar sehr hochstehende Freundinnen, aber niemand, der ihrem Herzen so nahe stünde; also habe er beschlossen, uns durch seine Ueberraschung zu beweisen, wie hoch er uns schätze und wie sehr er sich freue, endlich einmal zeigen zu können, daß er unsere Freundschaft zu schätzen wisse.
Augenscheinlich hatte er seine Frau schon in das Geheimnis eingeweiht. Ihre Augen strahlten wie in früheren Zeiten, wenn das Pfarrhaus am Weihnachtsabend von alleinstehenden armen alten Männern und Frauen übervoll war und um den Weihnachtsbaum getanzt wurde und gesungen und nachher lauter Speisen gegessen wurden, die für alte Gaumen sorgfältig ausgedacht worden waren. Und wo man nachher Lotterie spielte mit unzähligen entzückend-liebevoll ausgewählten Geschenken. O ja, die Anna war doch, wenn alles in Betracht kam, sie selbst geblieben, aber hatte wieder zu sich heimgefunden nach Irrfahrten im Reicheleuteland.
Wir begaben uns zu Tische. Die Stimmung war erhoben, nein, nicht nur erhoben, sondern geradezu erhaben. Vier königliche Persönlichkeiten saßen um den Tisch, vor ihnen ein Vermögen in Gold, Silber und Blumen. Schwalbennestersuppe, Gansleberpastete en eroûte – der Hausherr war so freundlich, uns zu erzählen, welch ein erlesenes Menü er ausgesucht habe, obwohl er, wie er mit einem verschmitzten Lächeln hinzufügte, ja wisse, daß wir mit solchen Dingen nicht verwöhnt seien. Aber, habe er seiner Frau gesagt, bei dieser Gelegenheit, wo er die große Ueberraschung in Bereitschaft hätte, wäre das Beste nur grade gut genug. Und während er so redete, fühlte er rechts und fühlte er links nach seinen Taschen, und wir spürten, daß sich dort etwas befände, was die Taschen ein wenig aufbauschte. Er allein hielt sämtliche Tischreden. Gut so, denn wie konnten wir, die wir an frühere Zeiten denken mußten, hier eine Rede halten! Er sprach von der heiligen Freundschaft, die stärker sei als Leben und Tod, Freundschaft, die alles überstrahle und sogar mit der Liebe konkurrenzfähig sei. Er sprach von seiner Frau, die von ihrer Geburt an eigentlich nur dafür gelebt habe, um zuletzt bei ihm das wahre Glück empfinden zu dürfen. Er sprach mit florumwundener Stimme von seiner verstorbenen Frau, die ihm eine gute, anständige, rechte Gattin gewesen sei und in Ehren draußen liege – er deutete mit seinem Finger in die Richtung des Friedhofs – ja, er berichtete, wie er und Anna an diesem Tag bei den Toten gewesen seien und beide Gräber bedacht hätten, denn, sagte er, auch Annas erster Gatte sei ja, wenn man der Wahrheit die Ehre geben will, ein grundguter Mensch gewesen, wenn er auch das Mittelmaß nicht überragt hätte.
Ein Gang folgte dem andern. Uralte Weine begleiteten sie zu Grabe. Wir wurden in den Geburtsschein eines jeden eingeweiht. Nicht einmal beim König, vertraute er uns an, kämen solche Weine auf den Tisch. Aber wahrscheinlich komme es auch nicht vor, daß der König eine solche Ueberraschung für die intimsten Freundinnen seiner Frau in Bereitschaft habe.
Jemehr die Zeit vorrückte, um so höher stieg die Stimmung. Anna, die in ihrer ersten Ehe, aus moralischen Gründen, nur Wasser getrunken hatte, bekam ein immer blühenderes Gesicht und wurde immer ausgelassener, ja, sie kam mit Aeußerungen, die uns wie kleine elektrische Stöße trafen; Aeußerungen, die vorher nie und nimmer in ihrem Munde möglich gewesen wären.
Bisher hatten wir im halbverdunkelten, nur durch massenhaft viele Kerzen erleuchteten Raum gesessen. Aber nun drückte er auf einen Knopf, der Diener sprang herbei und entzündete den großen Kronleuchter. Wir wurden so von Licht überflutet, daß die Augen fast schmerzten. Eine besondere Art Champagner wurde herumgereicht, der Hausherr erhob sich und, nachdem er nochmals seine Taschen abgetastet hatte, sagte er mit einer Stimme, mit Feierlichkeit geschmückt wie eine kleine Stadt mit Flaggen, wenn der König Regierungsjubiläum hat: Meine beiden teuern Freundinnen! Ich habe mit bewußter Absicht diesen Moment so lange als möglich hinausgeschoben, um die Wirkung noch zu vergrößern. Ich weiß, wie gut Sie beide meiner geliebten Anna sind, wie Sie sie beide verehren, welch ein Glück es für Sie beide ist, daß Anna Ihnen treu geblieben ist und Sie nicht fallen hat lassen, als sie durch ihre Ehe mit mir in ganz andere Kreise gelangte. Weil Annas Freunde meine Freunde sind, weil ich jede Freude auf dieser Erde mit Ihnen teilen möchte, habe ich Sie heute hierherbestellt, habe ich heute das Beste, was mein Haus vermag, geboten. Ich will und wünsche nur, daß Sie beide, die Jugendfreundinnen meiner Frau, Beweise haben sollten, wie hoch ich ihre Freundschaft halte. Sie werden noch lange nachher von diesem Abend sprechen. Und, wer weiß, wenn ich vielleicht schon dort bin, wo meine erste Gattin und Annas erster Mann friedevoll ruhen, werden Sie beide zusammen mit Anna diesen Abend besprechen. Sie werden von hier bereichert fortgehen, bereichert, sage ich und meine es. Ich habe mit Mühe und Not meine Ueberraschung für mich behalten und wollte sie bis zu dieser Stunde für mich behalten, aber heute morgen hat es mich überwältigt, und ich mußte Anna alles sagen – aber gezeigt habe ich ihr nichts. Nun komme ich also endlich dazu, meine Ueberraschung zu enthüllen. Ic bin mir bewußt, daß es ein ungeheures Geschenk darstellt, und daß man es eigentlich nicht verantworten kann, so viel Geld einfach für Schmucksachen auszugeben, deshalb erkläre ich auch, und Sie werden verstehen warum, daß mehr als die Hälfte der Edelsteine aus dem Schmucke meiner ersten Gattin stammt.
Er drückte mit der Rechten meine Hand, mit der Linken die meiner Freundin. Tränen schimmerten in seinen Augen, er konnte kaum fortsetzen: Aber ich weiß, daß meine frühere Frau, wenn sie davon wüßte, nichts dagegen haben könnte, daß die Edelsteine eine so schöne Verwendung gefunden haben. Und nun bitte ich Sie – er wendete sich zu mir – und übergab mir ein Etwas, in Seidenpapier eingewickelt: Oeffnen Sie, bitte! Reichte meiner Freundin ein ähnliches Paket und sagte schluchzend: Und nun öffnen Sie, liebe treue Freundin, dies! Wir öffneten mit fast zitternden Händen jede ihr Paket und hielten nun jede ein ziemlich großes weißsamtenes Etui in der Hand, wir öffneten es und schraken beim Anblick eines unerhörten Schmuckes aus Brillanten und großen Smaragden bestehend zurück und wußten kaum, wohin schauen. Ich blickte zu meiner Freundin hinüber und sah, daß, während ich ein Halsband hielt, sie mit Armband, Ohrgehänge und Brosche, zum Halsband passend, dasaß. Sie war so blaß, wie ich wahrscheinlich rot geworden war. Anna strahlte, sie klatschte in die Hände und flüsterte: Ist es nicht so, wie ich immer gesagt habe. Er ist viel, viel zu gut!
Noch immer aufrecht stehend, schloß er mit bebender Stimme: Habe ich zuviel gesagt? Ist dies nicht eine Ueberraschung, die wert ist, vorbereitet zu werden? So, und nun bitte ich Sie beide, diesen Schmuck als Geburtstagsgeschenk meiner Frau in meinem Namen zu übergeben …