Oskar Maria Graf – Wir sind Gefangene

Autobiografischer Roman, Drei Masken Verlag, 1927

Wie urteilt Thomas Mann über das Buch? Welche Bücher ziehen den Heranwachsenden Oskar magisch an? Was sagt Maxim Gorki über „Wir sind Gefangene“?

„Man sollte den Roman in etwa so verfassen wie einem der Schnabel gewachsen ist; und das ist schwer“, meinte der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki. Und da es schwer ist, ist es nur wenigen gelungen. Oskar Maria Graf aber hat es sicher mit seinem autobiografischen „Bekenntnis“ (so der Untertitel) Wir sind Gefangene geschafft. „Er treibt es unmöglich und erregt Lachen und Kopfschütteln; aber er gewinnt dabei unser Herz“, schreibt  Thomas Mann begeistert in seiner Rezension, die in der Frankfurter Zeitung erscheint.

Grafs Buch besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil, Frühzeit — bereits 1922 mit mäßigem Erfolg im Malik Verlag erschienen —, beinhaltet die Beschreibung seiner Kindheit und Lehrzeit in der väterlichen Bäckerei, die Flucht aus dem Heimatdorf nach München, Kontakte zu anarchistischen Kreisen sowie seine Militärzeit während des Ersten Weltkriegs.

Der zweite Teil, Schritt für Schritt, umfasst die Jahre 1917 bis 1919, in denen sich Graf politisch engagiert, sich an der Münchener Räterepublik beteiligt, aber auch auf dem Schwarzmarkt handelt.

Nach dem Tod des Vaters im Jahr 1905 übernimmt Oskars ältester Bruder Max die väterliche Bäckerei und Konditorei. Angetrieben von dessen Jähzorn und Schlägen muss Oskar den Beruf des Bäckers erlernen, obwohl ihn seine Kreativität und seine Liebe zu Büchern – „Ibsens Dramen, Kleists Novellen und vor allen Dingen immer wieder Shakespeare … Tolstoj hauptsächlich, und Heine und Lessing.“ – bereits früh in eine andere Richtung drängt.

17-jährig schließlich flieht er aus seinem Heimatdorf Berg, am Starnberger See gelegen, nach München, um dort als Schriftsteller zu leben. Aber der Erfolg bleibt aus, und bald auch das Geld. Graf lässt sich auf Schwindeleien und Betrügereien ein, findet eine Zeit lang Arbeit in einer Mühle, in der er unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen fast zusammenbricht. Schließlich knüpft er Kontakte zur Münchener Bohéme und zu einer Gruppe von Anarchisten um Erich Mühsam und Felix Jung.

An seinen erbärmlichen Lebensumständen ändert sich nichts, sodass Graf beschließt, in Berlin als Schriftsteller Fuß zu fassen. Der Beginn des Ersten Weltkriegs vereitelt dieses Vorhaben. Vorher Gefangener seiner ärmlichen Lebensverhältnisse, empfindet der junge Graf nun den militärischen Drill und Kadavergehorsam als Gefangenschaft. Schon bald sitzt er wegen Befehlsverweigerung in Arrest, landet nach einem Hungerstreik in der Irrenanstalt, aus der, noch während des Krieges als kriegsdienstuntauglich entlassen wird.

Wieder versucht er in München Fuß zu fassen, arbeitet in einer Keksfabrik, verschafft sich aber auch auf unehrliche Art Geld, und weiterhin sind seinen literarischen Versuchen nur mäßiger Erfolg beschieden. Aus Mitleid heiratet er, und schon bald wird ihm die Ehe zur Last. Erst die kurze revolutionäre Zeit der Münchener Räterepublik, nach deren blutiger Niederschlagung Oskar Maria Graf verhaftet wird, lässt ihn zu sich selbst kommen. Das „Ich“ – „Und ich? Weshalb war ich frei? Nein! Tausendmal nein! Hatte ich wenigstens etwas gewonnen? Hatte ich wem genützt durch mein Tun? Wirkte ich als irgendein Beispiel? Nein! Tausendmal nein! Also wieder nur die Leere. Also wieder nur das plumpe Ich.“ – mündet ins „Wir“ des Buchtitels: „Mein winziger Kreis zerbarst. Ich war mehr, als bloß „Ich“. Ein großes Glück durchströmte mich.“

„Dichtung eines wirklichen Lebens- und Menschenkenners, tragisch ganz ohne Pathos, mitleidsvoll ganz ohne Wehmut, einfach, redlich und stark“, urteilte Bruno Frank über Oskar Maria Graf. Und Maxim Gorki sagte über Wir sind Gefangene: „Das einzige Werk, das den revolutionären Geist der unterdrückten deutschen Massen zum Ausdruck bringt.“

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