Erzählung, abgedruckt in der Vossischen Zeitung am 24. April 1927
Sie werden sagen, es war der Alkohol, gut. Aber ich sage Ihnen, es war der Böse. Es ist eigentlich gar keine Geschichte, nur ein Vorfall meines Lebens, eine Einzelheit, die ich nie vergesse, obgleich sie zwanzig Jahre zurückliegt.
Ich saß auf dem Hockerchen am riesigen Bartisch des Schanghaiklub und trank. Die größte Bar der Welt, fünzig Meter Schanktischlänge, fünfhundert Gäste in tropenweißen Anzügen wie ein Bienenschwarm summend an der einen Seite hängend. Ich saß mitten drin, hatte gerade eine Fahrt beendet, ging übermorgen auf eine neue, war ungeduldig, mein Geld auszugeben und hatte schon drei Stunden an diesem Tisch Posten gefaßt, wo es mir schändlich gut gefiel. Die chinesische Bedienung war die beste der Welt. Flink, lautlos, sanft gossen sie aus den Flaschen beidhändig die Sachen ins Glas, zauberten ein wenig, und schon hatte man es auf der Zunge. Heiße Zeit, Sommer. Ich sagte schon, ich hockte wie ein alter Säufer schon drei Stunden in der Reihe der übrigen schwitzenden Gentlemen. Hundert Ventilatoren, es war sehr heiß. Draußen, der Strom, den man von seinem Sitz sehen konnte, wälzte sich weiß und breit zwischen Ufer und Ufer.
Mich bediente ein hübscher gelber Knabe, voll Verständnis für meine geheimsten Wünsche. Ein glatthäutiges Gesicht, aufmerksame Augen, lächelnd, immerzu lächelnd. Ich saß ernst da, wiegte vielleicht vom Rollen der Sprachen um mich her wie ein nettes Schiff in der Dünung, und trank. Drei Stunden, mein Herr, sind lang. Warum ich blieb? Wohin sollte ich gehen? Draußen war dies Schanghai, mit seiner Sonne, mit seinem infam trägen, breiten, schlappenden, dampfenden Strom. Hier liefen Ventilatoren und standen zehntausend Flaschen für jeden Durst. Es war einigermaßen erträglich. Und der Alkohol, wissen Sie …
Der gelbe Boy sah mich seit einiger Zeit recht unverschämt an. Seine Eilfertigkeit, das leer zurückgeschobene Glas mir voll sofort wieder unter die Nase zu rücken, war unglaublich. Ein Jongleur, sage ich Ihnen, ein Teufelsmixer. Das war es: eine ganze Weile schimpfte ich so vor mich hin: ein glatter, gefährlicher Teufelsbursche, der Satan hol´ ihn – und so weiter. Dann, ich weiß nicht, bei welchem Glas, wurde ich aufmerksam, sah ihn mir genau an. Es war nichts zu sehen, und doch war da etwas, was mir einen Ruck gab. Ich hob das Glas, durch den gelben öligen Likör schimmerte eine angenehm verwischte, ungefährliche Welt. Doch man kann das Leben nicht ewig durch ein Schnapsglas ansehen. Ich sage Ihnen, ich geriet langsam in eine kleine stickige Wut. Mein Glas, das leer war, mit der Hand zudeckend, hielt ich jenen Burschen mit meinen Augen fest. Er ertrug es lächelnd, und wie lächelnd! Mitleidig geradezu, als verstände er den Herrn nur zu gut, der nach dreieinhalb Stunden sein Glas leer lassen möchte. Ich schob es ihm hin, im Nu rutschte es mir wieder zu. Ein Teufelskerl, ein Satansbursche, ein lächelnder gelber Mixer mit geradezu abscheulichem Verständnis für meine Lage. Langsam wurde es eine Art Zweikampf.
Das heißt, ich hatte längst genug. Die Ventilatoren überm heißen, dampfenden Schädel brummten wie der Pazific bei einer Deckwache nachts vier Glas. Die Köpfe meiner Nebenmänner, ehrenwerter Leute, schwankten in rotem Rauch. Der Bartisch aber war die genau gezogene Linie, hinter der die höflichen, gelben Teetrinker uns das siebenfarbene Gift zierlich in Blumenkelchen zwischen die trockenen Lippen gossen. Ich hatte genug, wollte nichts mehr. Aber bei jedem Versuch, aufzuhören, war jener einsichtige, milde lächelnde Satan da, mit seinem gütigen Verständnisblick, ich konnte einfach nicht aufstehen und davongehen. Es wurde ein Duell. Ich schob das leere Glas zurück, er ließ es verschwinden und ersetzte es durch ein volles. Mit wem läßt du dich ein, Mensch, griff ich mich selbst an, das ist der Teufel, willst du den Teufel unter den Tisch saufen? – Egal; ich saß wie ein Götze, ein zum Götzen verzauberter, deutscher Seemann, in einem Kreis, den die Augen und das Lächeln dieses Mannes festlegten, konnte nicht heraus und versuchte, ihn mir „vom Leib zu trinken“.
Ich muß zum Schluß kommen. Wie es möglich war, weiß ich heute noch nicht. Aber ich wurde von einem gewissen Punkt an immer nüchterner. Ich hatte erkannt, worauf es dem Herrn ankam: mich wie einen steifen Leichnam von meinem Hockerchen kippen zu sehen. Er war so rührend in seiner Sorgfalt, immer gut voll zu geben. Ich füllte das Zeug ein wie Wasser. Meine Augen wurden immer kälter, klarer. Meine Bewegungen immer ruhiger, je hastiger ich ihn hantieren sah. Ich kann die Zeit nicht angeben, weiß nichts davon. Etwas in mir stellte sich dem sicheren Verderb mit einer Entschiedenheit entgegen, die selbst den Teufel (er war es sicher) aus der Fassung brachte. Er verlor sein Lächeln. Seine Augen spiegelten eitel Staunen. Ich saß vor ihm wie ein gleichmütiger Herr, dessen Tropenhelm draußen liegt, der es sich ein bißchen bequem gemacht hat. Es muß zum Schaudern gewesen sein. Und mit jedem Glas, das ich verschwinden ließ, wurde die Kraft, die mich hielt, schwächer, der Teufel kleiner, meine menschliche Freiheit wieder merkbarer. Als ich, ich weiß nicht wann, weiß nicht, nach dem wievielten Glas, mit einem Lachen mich vom Hockerchen aufräkelte, bezahlte (es war eine runde Summe) und im fassungslosen Staunen meines sicher auf meinen zwei Beinen aus dem Raum schob.
Das ist alles. Ein Nichts, ein kleines Rendez-vous, schon zwanzig Jahre her, doch fest eingeschrieben. Habe den Bösen übrigens nie wieder getroffen. Muß ihnen noch sagen, daß ich in meinem Hotel in mein Bett sackte, als hätte mich jemand niedergeschlagen. Ich lag so zwei Tage. Beim Erwachen war es noch zwei Stunden bis zur Abfahrt.