Erzählung, abgedruckt in der Zeitschrift „Kokain“ im März 1925
Es sei in Kürze – seiner Sonderlichkeit wegen – vom Leben und Sterben des jungen Hans Huckedich erzählt, und wenn nicht zu moralischem Endzweck, so sei doch zur Mahnung dieses traurige, fast tragische Schicksal aufgestellt. Tragisch, weil es ein hoffnungsvoller Künstler war, der da in der Blüte seiner Jahre schrecklich dahinging.
Hans Huckedichs Eltern waren die bravsten Menschen; der Vater im Stande eines Lehrers, die Mutter ehemalige Gouvernante in den besten Häusern. Schon als Hänschen zeigte unser Hans besondere Lust und Fähigkeit, kleine Modellierkünste zu üben. Sein Zeichenlehrer unterstützte später dieses Talent, indem er es ermunterte, und als allmählich die Frage nach einer Berufswahl auftauchte, war der nunmehrige Hans entschlossen, Bildhauer zu werden. Vater und Mutter hatten nichts dagegen. In beiden war da eine ästhetische Ader, eine Achrung vor der sonst unbegreiflichen Kunst, und schließlich hätten sie nicht vermocht, ihrem Einzigen auch den unvernünftigsten Wunsch abzuschlagen.
Also bezog der junge Hans nach einer stillen und freundlichen Jugend die Kunstakademie der Stadt und lernte, was seines Berufes war. Seine Professoren waren mit ihm wohl zufrieden, der eine oder andere verhieß ihm sogar eine Art Zukunft, er arbeitete an Denkmälern mit, die sie in Auftrag bekamen, schuf Adler, Löwen, Ornamente und versuchte sich nebenbei selbständig. Dieses alles kostete nicht wenig Geld, aber der Vater Huckedich gab gern, was er sparsam zurückgelegt, denn einmal, in naher Zeit, würde sich ja alles tausendfach vergelten und die Opfer lohnend bezahlt machen. Doch diese nahe Zeit kam nicht.
Hans verließ ausgelernt die Akademie, richtete sich das allerbescheidenste Atelier ein und arbeitete drauf los. Aber es kamen weder Besteller noch Aufträge, und er saß da zwischen seinen Göttinnen und Heroen, Masken und Tieren und verdiente nichts. Das Geld der Eltern schwand hin, und um nur leben zu können, mußte der junge Künstler tun, was so viele tun müssen: die Kunst ins Joch spannen und um Brot betteln schicken. Er arbeitete für Porzellanfabriken kleine Modelle, Vasen, Figürchen, Tassen; er machte für eine Bronzegußfabrik Lampenfüße, Aschenbecher, Tischglocken, Tintenfässer. Und so verdiente er sich ein bißchen Brot. Die große Kunst war in die Ecke gestellt und verhüllt. Er schämte sich.
Da starb der Vater, und in derselben Woche folgte ihm, aus Schreck und Kummer, die zarte, dürftige Mutter. Als Hans Huckedich von der zweiten Beerdigung heimkehrte, in sein dunkelndes kleines Atelier trat und sah, was da auf ihn wartete, erfaßte ihn mitten in seinem Schmerz eine verzweifelte Wut. Er zerstampfte und zerbrach, laut schluchzend, die erbärmlichen Modelle von Tassen, Aschenbecher und Lampenfuß, warf seine unverkauften Statuen um und stand also nicht nur unter den Scherben seiner Arbeit sondern, wie ihm schien, auch auf den Trümmern seines Lebens. Er brach zusammen und gab sich der Schwäche hin.
Es folgte nun eine gar betrübliche Zeit. Der geringen Nachlaß hatte nur einen kleinen Erlös gebracht, den Hans langsam und geizig aufzehrte. Aber so sehr er sich auch einschränkte, das Geld schmolz hin, und die Not drohte. er arbeitete nicht, denn er wußte nicht, zu welchem Zwecke. Es hatte keinen Sinn, das Atelier zu füllen, und das Material war auch nicht umsonst zu haben.
Der unglückliche Bildhauer, für das Leid nicht gestählt, zart an Seele und Leib, dem Leben in keiner Beziehung gewachsen, lag tatenlos auf seinem Bett oder schlenderte gedankenlos durch die Stadt, durch stille, duftende Gartenstraßen und durch die lauten, bunten Verkehrsboulevards, aber weder das eine noch das andere weckte ihn zu Mut, Hoffnung und Handeln.
Doch eines Tages gingen ihm unerwartet die Augen auf. Er träumte sich durch eine vielbegangene Geschäftsstraße des Stadtzentrums hindurch, als er den Blick hob. Er sah in das Fenster eines Konfektionsmagazins hinein, wo drei oder vier angezogene lebensgroße Puppen die Kostüme der Firma zur Schau stellten. Sie lächelten nichtssagend mit ihren einfältigen Wachsgesichtern, standen steif und starr da und trugen empfindungslos die Pracht der Gewänder.
Bei diesem Anblick wurde Hans Huckedich plötzlich von einer Eingebung erfaßt. Ein paar Minuten stand er still, von Gedanken durchwirbelt. Dann eilte er nach Haus.
Vierzehn Tage später hatte er eine Puppe vollendet. Für sein letztes Geld hatte er Wachs, Haare und das sonstige Zubehör gekauft und einen entzückenden Mädchenkopf modelliert. Er saß auf dem schlanken Halse, der weich aus einer alabasternen Büste aufstieg. die Brust setzte an wie ein Liebeslied. Die Arme waren schlank und rund, die Hände schmäler, als je eine Prinzessin sie gehabt. Aber das Schönste war doch das Gesicht. Lionardo hätte es erfunden haben können. Denn das geheimnisvollste Lächeln spielte um den schmalen, blassen Mund, es belebte das ganze Antlitz und gab selbst den gläsernen, blauen Augen einen Schein warmen lebens. Kastanienbraunes Haar wölbte sich seidenweich um die Schläfen. Hans bereitete sich das Glück, es aufzuflechten und wieder zu ordnen. Es floß lang und dicht hinab; es hatte gegen tausend Mark gekostet und war so kunstvoll dem Wachskopf eingefügt, als wüchse es aus ihm.
Der Meister stand vor seinem Werk und war glücklich im Schauen. Ihm schien, er hätte nie eine schönere Frau gesehen. Er begriff nicht, wie sie aus seinen Händen hervorgegangen war. War sie von selbst entstanden, hatte ein guter Geist seine Finger geführt? Sie hatten in der Arbeit geglüht, daß das Wachs unter ihnen fast wegschmolz; die Formen hatten sich von selbst gebildet, lebendig war die tote Masse aufgeblüht zu diesem herrlichen Frauenwesen. Da lächelte sie, die doch nur ein Torso war, Mensch nur bis zur Brust, lächelte, als empfände sie des Lebens unermeßliche Lust, die Liebe.
Hans Huckedich, ahnungslos, was nun mit seiner Büste beginnen, ging zu dem Konfektionshause und trug dem Chef sein Anliegen vor. Herr Verständig, der Chef, hatte gerade eine Stunde Zeit. Er rief nach seinem Auto und fuhr mit Hans in das Atelier. Hans saß zum erstenmal in einem so glänzenden, luxuriösen Gefährt, ihn schwindelte.
Er wußte auch nichts zu sagen, als Herr Verständig vor der entzückenden Büste die Hände zusammenschlug, und erwachte erst, als der Herr ihn fragte, was er für den Kopf verlange. Da begriff er, daß ihm dieses Werk unverkäuflich war. Er fühlte plötzlich, daß er es liebte, er, der noch nie geliebt hatte. Diese wächserne Frau war die Verwirklichung seines Traumes war vollkommender als je eine Lebende sein könnte, sie würde auch treu und demütig sein. Ihm war, er müßte zu ihr stürzen, sie retten, an sich reißen vor diesen Käuferblicken.
Aber Herr Verständig machte sein erstes Gebot. Hans sagte stammelnd: „Nein, ich kann sie nicht verkaufen.“ Herr Verständig sagte mit Recht: „Warum haben Sie mich dann hergeholt?“ Hans dachte: „Mag er denken von mir, was er will. Ich behalte sie, ich verhungere mit ihr.“ Herr Verständig fuhr fort: „Sie wollen wohl nur den Preis schrauben. Da, mein letztes Gebot.“ Er war nämlich entzückt von dieser ausnehmend reizvollen Büste und hatte schon einen famosen Plan, um mit ihr eine Sensation zu inszenieren. Er legte fünf Tausendmarkscheine auf den Tisch.
Als Hans Huckedich diese braunen Teufelslappen sah, verlor er Verstand und Herz. Er sagte hilflos: „Nehmen Sie sie.“ Darauf pfiff Herr Verständig nach seinem Chauffeur, der kam, nahm die Dame ohne Leib in seine muskulösen Arme und trug sie fort, hinaus, indes Herr Verständig schützend um das Paar herumkreiste. Der Bildhauer stand an dem leeren Modelltisch und sah der entschwindenden Schönen nach. In der Tür, so schien es ihm, wandte sie den Kopf und sah über die Schulter des Chauffeurs hinweg zu ihm zurück, nicht mehr lächelnd, sondern ernst, traurig, vielleicht drohend. Ja, er hatte, sie, die er liebte, verkauft.
Beginnt hier seine Schuld, und liegt hier seines Schicksals Ursache? Könnten romantische Herzen fragen?
Aber man schafft Werke, um sie zu verkaufen. Kunst ist zum Weitergeben da, und sentimentale Anwandlungen müssen niedergeschlagen werden.
Dennoch scheint es, als hätte sich in dieser Stunde Hans Huckedichs Verstand verwirrt. Von Not und Kummer und Hoffnungslosigkeit lange bedrängt, war sein Gemüt verstört worden. Nun bedurfte es nur eines Anstoßes, um das Chaos herzustellen.
Erst wollte er sich betäuben. Er hatte oft gehört, daß man das so macht. Er wechselte einen Tausendmarkschein, fuhr Auto, aß Kaviar, trank Sekt, hielt freundliche Damen frei – aber eines Tages schüttelte ihn der Ekel vor sich selbst, und er sah das traurig lächelnde Antlitz seiner schnöde verkauften Geliebten warnend vor sich. Da ging er, zerschlagen und müde, nach der Straße, wo jenes Geschäft lag.
Inzwischen hatte Herr Verständig seinen ingeniösen Plan ausgeführt. Die Büste war solide montiert worden, hatte Beine und ein schlankes Stahlgestell erhalten, stellte nun eine fix und fertige Frau vor und hatte ein ganzes Gemach angewiesen bekommen. Denn ein großes Eckschaufenster des Geschäftes war als Boudoir eingerichtet worden, mit weißen Lackmöbeln und rosa verschleierten Lampen, mit Blumen und Teppichen. In der Mitte stand ein seidener Diwan, und auf dem hielt sich die Figur auf. Sie war allein, keine Nebenbuhlerin diente ihr zur Folie. Und der Kniff des Herrn Verständig war, daß die schöne Puppe mehrmals am Tage ihre Kleidung wechselte. So sah man sie vormittags in einem köstlichen Negligee auf dem Diwan liegen, ein Buch neben sich. Mittags stand sie da in einem süßen Hauskleidchen, nach Tisch saß sie in einem eleganten Teagown und schien auf ihren Liebhaber zu warten, und abends zeigte sie sich in Theater- oder Balltoilette, tief dekolletiert, in ganzer Schönheit.
Das Publikum belagerte dieses sensationelle Fenster. Ja, sogar Polizei mußte bisweilen einschreiten, um die Passage freizuhalten. Die Zeitungen berichteten von der entzückenden Puppe, die sich vier- oder fünfmal am Tage umkleidete, Feuilletons erschienen über sie, satirische Gedichte, und ein moralisches Blatt machte aus ihr sogar einen Leitartikel, weil es fand, die wächserne Dame stelle zu viele Reize zur Schau. Herr Verständig aber triumphierte. Seine Schätze an Kostümen passierten solcherweise Revue im Fenster, lockten die ganze Stadt an, und seine fünftausend Mark rentierten sich.
Hans Huckedich näherte sich dem Laden, sah einen Menschenauflauf, und die schmerzlichste Ahnung erfaßte ihn. Er drängte sich durch die schimpfenden hindurch und sah die Entwürdigung seiner Geliebten. In einem eleganten Trotteurkostüm stand sie da, lächelte dem Publikum zu, hatte an ihren süßen Fingern eine ganze Reihe falsch glitzernder Ringe, ein flottes Hütchen auf dem seidenen Haar. Und gerade wurde die Tür ihres Boudoirs geöffnet, ein rothaariger junger Mann trat ein. lud die Schöne auf seine Schulter und zog vergnügt mit ihr ab, denn sie sollte umgekleidet werden. Das Publikum lachte und johlte und feixte, und Hans Huckedich hörte gemeine Witze und Anspielungen. Er rührte sich nicht vom Fenster, bis die Puppe wieder erschien, in einem seidenen Hauskleid, mit locker gestecktem Haar, schöner als zuvor, ein süßes, märchenhaftes Gebilde.
Hans torkelte wie betrunken nach Hause. Aber am nächsten Tage stand er wieder vor dem Fenster und betrachtete seine verkaufte Geliebte. Er sah ihre Schmach und Demütigung mit an, es zerriß sein Herz, daß da ein Kunstwerk zum gemeinen Schauobjekt entwürdigt war. Wie bitter war das Lächeln der Erniedrigten geworden! Empfand sie nicht vielleicht alles? Und er, der sie liebte, hatte sie dem ausgesetzt.
Sie verfolgte ihn in Schlaf und Traum, und am dritten Tage trat Hans Huckedich in den Laden ein. Gerade sprach Verständig in devoter Haltung mit einer großen Dame. Da trat Hans auf ihn zu und sagte: „Nehmen Sie die Figur aus dem Fenster. Was tun Sie! Sie machen aus Kunst Sensation, aus Schönheit eine Fratze! Habe ich Ihnen mein Werk verkauft, daß Sie es beschmutzen sollen? Daß es Ihnen die Leute anlocken soll? Sie prostituieren die reinste Frau. Geben Sie sie mir zurück. Ich liebe sie und darf sie nicht länger dieser Schmach ausgeliefert lassen.“
Hier trat der Hausdiener in Aktion und der Künstler fand sich verwirrt auf der Straße wieder. Ein Auflauf entstand um ihn, denn er setzte auf offener Straße seine Beschwörungen und Beschimpfungen fort. Bis die Polizei nahte, ihn arretierte und fortbrachte. In später Abendstunde wurde er von der Wache entlassen. Ihm drohte Bestrafung wegen Ruhestörung, Auflehnung gegen die Staatsgewalt und eine Privatbeleidigungsklage des sehr entrüstenden Herrn Verständig.
Hans Huckedich begab sich sofort in die Straße, wo nun seine Geliebte wohnte. Es war schon still in dieser elften Nachtstunde, aber ein Schaufenster war matt erleuchtet. Man sah in ein rosiges Boudoir, und auf einem seidenen Diwan lag müde eine wunderschöne Frau, fast ganz entkleidet. Ein seidenes Hemd verhüllte den schlanken Leib, ein Schlafrock aus Spitzen und Pelz war ihr von den blendenden Schultern geglitten, ihr Haar war gelöst, ihr Lächeln verriet schon Traumglück.
Nur wenig Menschen standen vor dieser intimen Szene und rissen freche Witze, klopften an die dicke Glasscheibe und trollten sich. Der Liebende blieb allein.
Aber diese letzte Erniedrigung der Gelieben verwirrte ihn ganz. Er mußte sie retten, sie entführen. Mit maßloser Kraft zerschlug er die Scheiben und drang durch Splitter und Scherben zu ihr, um sie zu befreien. Er hob die Leichte auf und floh mit ihr. Aber er stolperte, als er aus dem Fenster auf die Straße sprang, er fiel hin, die Puppe im Arm, und der wächserne Kopf zerbrach, zerquetschte, wurde eine formlose, schmutzige Masse, aus der das seidene Haar üppig quoll.
Ein paar Minuten später kamen Leute. Sie fanden den Gestürzten in Blut schwimmen. Beim Zerschlagen der Glasscheibe hatte er sich beide Pulsadern aufgeschnitten. Er verblutete über seiner zerstörten Figur. Als man ihn aufhob, war er tot.
Phantastisch geschriebene Geschichte!
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Danke! Das ist auch meine Meinung.
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