Jaroslav Hašek – Der unsittliche Kalender

Erzählung, abgedruckt in der Zeitschrift „Mocca“, Mai 1933

I.

Der Kommandant der Polizeiwache, Alesch, langweilte sich von 9 Uhr abends, da man den letzten Betrunkenen in den Kotter gebracht hatte, bis 1 Uhr nachts. Er überlegte, wie er das wohl bis 6 Uhr früh, zur Ablösung, aushalten werde, über Akten zu sitzen, über dem Journal, gerade heute, da lauter solche Wachleute Dienst hatten, von denen kein einziger Karten spielen konnte.

Inzwischen legte er sich aufs Bett, zündete seine Pfeife an und redete über Politik. In solchen Augenblicken war er streng. Es wurde aus ihm ein Cato, hart und unzugänglich in jeder Regung. Die Wachleute lagen auf ihren Betten herum und hörten andächtig zu, denn sie waren noch nicht definitiv angestellt.

„Sicher darf keiner daran denken, daß es so weitergehen wird, auf die heutigen Verhältnisse ist kein Verlaß.“ Er atmete tief auf und suchte Streichhölzer. Als man sie ihm reichte, redete er weiter und seine Erregung stieg. Der junge Wachmann Pawelka war inzwischen eingeschlafen und fing an durch die Nase zu pfeifen.

Der Kommandant weckte ihn auf und schrie, daß Verwicklungen vor der Tür stünden. Wer ein guter Bürger sei …

Wachmann Deckel, der von der Gasse kam, trat in die Türe und erstattete Rapport.

Herr Inspektor Alesch war aufgestanden und nahm die Meldung entgegen: „Melde gehorsamst, nichts Neues. Ein pikanter Kalender konfisziert. 120 Exemplare habe ich mitgenommen.“

Die Amtsmiene war aus dem Gesicht Deckels verschwunden und er fuhr mit siegesgewissem Lächeln fort: „Eine kolossale Schweinerei, Herr Wachtmeister, tadellose Sachen. Solche gemeine Bilder, ein Vergnügen.“

Er legte den Packen auf den Tisch. In dem Augenblicke war die Langeweile des Herrn Wachekommandanten zu Ende.

„Geben Sie die Schweinerei her!“

Der Polizist machte den Packen auf, reichte ein Exemplar der konfiszierten Schrift dem Herrn Kommandanten, um den herum sich die anderen Wachleute gruppierten.

„Herrgott“, sagte einer aus tiefster Seele bei Betrachtung des Titelbildes, „das sind Wadeln!“

„Sehen Sie“, sagte der Kommandant, „und so was soll der Jugend vor Augen kommen. Noch schulpflichtigen Kindern.“ Seine Stimme klang weich: „Herrschaft, die zweite da auf dem Bild, die hat aber Augen. Und ganz nackt ist sie.“

„No, aber weiter, da sind erst Sachen“, sagte der Wachtmeister Deckel.

„Das ist auch nicht schlecht.“

„Red‘ nicht, Mensch, daneben das Bild, das ist erst lebendig und fein. Vor allen Dingen hat das Frauenzimmer da vollere Hüften und dann liegt sie nicht so schlecht auf dem Diwan. Lausbuben. So was getrauen die sich zu zeichnen.“

„Herr Wachkommandant, das Gedicht da drunter, das müssen Sie lesen, das ist nicht schlecht.“

„Gut schon, aber zweideutig. Unverschämte Menschen, die so was schreiben und drucken lassen! Die Kinder gehen in die Schule und verschlingen solche – – – Teufel, wie sagt man?“ „Pornographie, Herr Wachkommandant“, ergänzte der Wachmann Pawelka.

„Furchtbare Sachen, aber gut“, fand der Wachmann Mika, „die Hosen da sind gut gezeichnet.“

„Der Witz ist auch nicht schlecht. Gefall‘ ich dir besser mit oder ohne Hosen, Schatz?“

„Ich glaub ohne Hosen, was meinen Sie?“ wendete sich der Kommandant grinsend zu den Wachleuten. Was sich diese Schweinekerle alles ausdenken!“ „Ich gestatte mir, auf die letzte Seite aufmerksam zu machen, Herr Wachkommandant, auf diese Ballettratte im Bad. Nicht nur, daß sie ganz nackt ist, reicht ihr auch noch der Diener ein Leintuch.“

„Gut ist das und ich sage, solche Sachen rücksichtslos konfiszieren. Wenn man alle Trafiken abgeht, wird man sicher noch eine Menge solcher Sachen finden. Der Herr Kommissäar Peroutka wird sicher morgen eine Freude haben.“

II.

„Melde gehorsamst, Herr Kommissär, daß gestern über Befehl in allen Trafiken Kalender unsittlichen Inhaltes konfisziert wurden. Hier ist ein Exemplar. Besonders erlaube ich mir auf das Bild auf der vorletzten Seite aufmerksam zu machen: die Ballettratte im Bad. Dann das Frauenzimmer auf dem Diwan. Das Titelbild enthält nicht nur ein Vergehen gegen die Sittlichkeit, sondern wird auch, glaube ich, dem Herrn Kommissär besonders gefallen. Bitte, beachten Sie besonders die mit Blaustift unterstrichenen Unanständigkeiten. Es steht bestimmt dafür. Schöne Schweinereien finden Sie überall dort, wo ich eine Ecke umgebogen habe. Eine besondere Gemeinheit ist auf Seite 30. Tadellos ist: Intimitäten im Harem, nicht nur, daß der Text grobe Vergehen gegen die Sittlichkeit enthält, sind auch feine Abbildungen dabei. Die Mohammedanermädels liegen auf Tigerfellen herum und ein armer Eunuch bewacht sie.“

„Menschenskind“, sagte Kommissär Peroutka, den Inhalt durchsehend, „das muß ich unserem Rat zeigen. Der sieht gern solche Sachen.“

III.

Der Kalender hatte Erfolg. Zwei nahm der Herr Oberpolizeikommissär und drei der Herr Rat. Die Konzipisten je ein Exemplar, die anderen waren bald auf der Polizeidirektion vergriffen. Die Wachleute suchten eifrig weiter nach unmoralischen Kalendern.

Und dadurch, daß diese Lektüre nicht in die Hände Unberufener kam, wurde die öffentliche Sittlichkeit gerrettet.

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