Novelle, abgedruckt im Berliner Tagblatt, Ausgabe vom 6. Juni 1929
Dies ist die Geschichte des Fleischers Berthollet, der sich aus Kummer in die Sarine warf und wieder gerettet wurde.
Die Brüder Berthod spazierten in der Nähe und hörten das Geräusch eines ins Wasser fallenden Körpers: sie eilten hinzu und sahen, wie Berthollet von den Wellen weggespült wurde. Glücklicherweise war die Sarine nicht tief und gerade an jener Stelle nicht gefährlich. Sie begannen zu laufen, aber schneller als er, um ihn zu überholen; dann sprangen die beiden Berthods, die gross und stark waren, ins Wasser, warteten auf den herantreibenden Körper und waren so geschickt, ihn aufzufangen.
Sie nahmen ihn mit ans Ufer. Berthollet hatte das Bewusstsein verloren. Die Frauen, die ihn sahen, schrien: „Mein Gott, mein Gott!“ und fassten sich mit beiden Händen an den Kopf. Es war auch kein schöner Anblick, der Mann mit dem grossen Bart, mit den langen, ins Gesicht geklebten Haaren, die Augen und Nase verdeckten, mit den durchnässsten Kleidern und dem offenen Mund. Abram Berthod sagte: Man muss ihn bei den Füssen nehmen“, David Berthod: „Man muss ihn auf den Bauch legen.“ Der Arbeiter aus Freiburg, der mit ihnen arbeitete, versicherte, dass Berthollet bestimmt tot und doch alles nutzlos sei! Aber die Frauen haben bessere Einfälle, während die Männer so hin und her diskutierten und damit ihre Zeit verloren, liefen sie in das Dorf und holten den Arzt, denn es war Konsultationstag.
Der Arzt war schnell zur Stelle. Er liess Berthollet auskleiden und mit seinem durchnässten Hemd schlagen, dann nahm er ihm die Zunge heraus und zählte, während David Berthod die Arme gleichmässig hin und her bewegte: „Eins, zwei …“ So kam wieder Leben in Berthollet. Er öffnete die Augen und stiess dann nur einen schweren Seufzer aus und der Arzt liess ihn nach Hause tragen. Man brachte ihn zu Bett und gab ihm warme Getränke zu trinken. Am nächsten Tage konnte er schon wieder aufstehen. Aber kein Mensch wagte mit ihm zu sprechen, so verschlossen sah er aus.
Er lebte allein, denn er hatte vor fünf Monaten seine Frau verloren. Er hatte nicht angefangen zu trinken, wie es vielleicht andere getan hätten; er weinte nicht und klagte nicht einmal, nur war er merklich verändert seit dem Tage, an dem man seine Frau in die Erde gebettet. Er war immer fröhlich gewesen, jetzt wurde er traurig. Früher lachte er gern, jetzt lachte er nicht mehr. Er floh die Menschen. Sein Fleischerhandwerk liess er im Stich. Wenn man ihm Vieh anbot, sagte er: „Was soll ich damit?“ Man wunderte sich darüber, aber wusste nichts darauf zu erwidern. Ausserdem wurde er unordentlich und unsauber.
Zwei oder drei Tage nach dem „Unfall“ – wie man sagte – war er in seinem Zimmer, als jemand an die Tür seines Häuschens klopfte; und als er die Vorhänge zurückschob und durch das Fenster sah, erblickte er den Pastor. Einem anderen hätte er nicht geöffnet, aber vor dem Mann, der Gottes Wort unter den Menschen verbreitet, hat man Ehrfurcht, und Berthollet ging öffnen.
Der Pastor trat ein und sagte: „Guten Tag, Berthollet.“
Und er hielt ihm die Hand hin, die Berthollet nahm, obschon er eigentlich nicht mochte. (Nein, er war keinem Menschen böse, seine Bitterkeit und sein Misstrauen richteten sich gegen alle Menschen.) Trotzdem, er nahm diese Hand, öffnete die Tür und sagte: „Bitte, treten Sie ein, Herr Pastor.“
Denn es wäre unhöflich gewesen, den Herrn Pastor in der Küche zu empfangen. Der Pastor trat in das Zimmer und Berthollet wiederholte: „Bitte, setzen Sie sich, Herr Pastor.“
Er fühlte sich gezwungen, so zu handeln, wie sehr er sich auch dagegen wehrte; nach und nach nahm er die schlimmsten Verpflichtungen auf sich, wie wir sehen werden.
Der Pastor war ein beliebter Mann, denn er war einfach und freundlich, nicht nur zu den Leuten, die regelmässig in die Kirche gingen, sondern zu allen, denn alle waren gleich vor ihm. Er gehörte nicht zu jenen Menschen, die sich immer in einem weinerlichen Ton über das Leben beklagen.
Er setzte sich und betrachtete Berthollet (der vor ihm mit gesenktem Haupte stehen blieb): „Nun, Berthollet, hast du Kummer?“
Berthollet biss die Zähne zusammen, seine Hände zitterten. Mehr konnte man nicht sehen, weil er den Kopf gesenkt hielt. Gross, schlank, aufrecht, knochig unter der groben Kleidung, die ihm am Leibe herumschlotterte, denn er war sehr mager geworden. Er erregte Mitleid und war doch zu gleicher Zeit schön anzusehen wegen der Kraft, die man ihm innewohnen fühlte.
Der Pastor begann wieder: „Na, Berthollet!“
Aber Berthollet hielt die Kinnladen zusammengepresst.
Im Zimmer herrschte große Unordnung. Das Bett war nicht gemacht, ohne Leichentücher, nur die Matratze; das Deckbett lag im Staub und Durcheinander auf der Erde. In den Ecken der Zimmerdecken waren Spinngewebe. Die Fensterscheiben waren so fettig, dass die Sonnenstrahlen nicht eindringen konnten. Und über allem lag ein durchdringender Geruch, der den Hals zuschnürte und Hustenreiz verursachte.
„Berthollet,“ sagte der Pastor, „du weisst genau, dass ich dein Freund bin, sag` mir bitte, was dir fehlt …“
Und als Berthollet noch immer nicht zu hören schien, stand er auf, ging auf ihn zu, nahm ihn beim Arm und drückte ihn auf einen Stuhl nieder. Berthollet ließ alles mit sich geschehen und fans sich neben dem Pastor wieder; er hielt die Augen immer noch auf den Boden gerichtet, aber schon war er irgendwie zugänglicher geworden: wie wenn die warme Sonne einen Schneehaufen bestrahlt, der von innen zu schmelzen beginnt, ohne dass man es merkt, und schliesslich auseinanderfliesst.
„Berthollet, du musst nicht glauben, dass ich mich in deine Angelegenheiten mischen will, das sind deine Sachen. Aber wenn jemand leidet, muss ich zu ihm gehen und sagen: ,Du wirst weniger leiden, wenn du jemanden hast, dem du dich anvertrauen kannst.` Wenn man seine Bürde nicht allein tragen kann, trägt man sie zu zweien, Berthollet. Es gibt auf der Welt viele so wie du, Berthollet,, die sich abschliessen wie du, aber der Freund kommt, klopft an und sagt: ,Lass mich an deinem Schmerz teilhaben.´ – Willst du nicht, Berthollet?“
Er hob heftig den Kopf und winkte: nein, er wolle nicht. Es wurde still.
„Ich weiss“, sagte der Pastor. Dann fügte er plötzlich hinzu: „Du glaubst, dass du stark bist, aber ich sage dir, du bist schwach. Heute vor fünf Monaten hat man sie zur Erde getragen, es regnete, erinnerst du dich? Du gingst hinterher und dachtest: ,Man hat sie mir genommen, ohne sie kann ich nicht leben.´ Und du hast dich nicht darein gefunden, und weil du dich nicht darein finden konntest, leidest du jetzt so, Berthollet.“ Er sprach mit lauter Stimme, und plötzlich während der Rede stand Berthollet auf und begann jämmerlich zu schluchzen: Er versuchte sich zu beherrschen; aber ihn würgte etwas in seiner Brust, es stieg hoch und erstickte ihn, und dann brach es mit einemmal aus in heftigen Stössen, schnell unterdrückt, aber sein ganzer Körper wurde davon erschüttert, von den Füssen bis zum Kopf, den er immer noch gesenkt hielt, gegen seinen Willen, denn er schämte sich. Endlich kamen ihm die Tränen, und je stärker und heftiger sie kamen, um so mehr schwand sein Stolz; seine Kraft verliess ihn, er mußte sich setzen und war nur noch ein armer Mann, der weinte.
„Willst du mir noch immer nichts sagen, Berthollet?“
Er wollte schon, aber er konnte noch nicht. Es wurde still, sehr still, eine ganze Zeitlang Stille. Die Sonne stand hell über den Bergen und die Felsen leuchteten auf wie Spiegel und die Schindeldächer glänzten wie Silber in der leichten Luft.
Und endlich begann Berthollet zu sprechen.
„Als mein erstes Kind starb, dachte ich: ,Es bleibt uns noch eins …´ Als mein zweites Kind heiratete, dachte ich: ,Ich habe noch meine Frau …´ Als auch sie von mir ging, dachte ich: ,Jetzt habe ich niemanden mehr.´ Dieser Gedanke hat mich so niedergeschlagen, denn ich liebte sie und wir haben dreissig Jahre zusammen gelebt, und ich konnte ohne sie nicht sein. Was dann? Ich verlor den Kopf. Was dann? Ich sollte es eigentlich nicht sagen, aber mir wurde alles gleichgültig, das Geld, die Welt, alles; und ich dachte, du musst zusehen, dass du bald zu ihr kommst.“
Und da hob er zum erstenmal die Augen und sah den Pastor an; dann senkte er sie wieder, starrte auf den Boden und fuhr fort: „Sogar jetzt, denken Sie, dass ich geheilt bin? Ach, ich rufe immer nach ihr. Ich will nicht mehr weinen. Aber ich schreie nach ihr. Sehen Sie, Herr Pastor, Sie sind sehr gütig und Sie werden mir sagen, dass es einen guten Gott gibt, aber, wo ist er, der gute Gott? Ehe ich ich, fühle ich ihn? Sie, sie aber war da …“
Dann gleich darauf: „Verzeihen Sie mir, ich weiss nicht mehr, was ich rede.“
Aber der Pastor sagte ganz einfach: „Komm, Berthollet.“
Und zum zweitenmal gab Berthollet nach. Und sie nieten beide vor dem Bett nieder: das ist bei den Bergbewohnern Sitte. Und sie knieten lange dort nieder. Dann standen sie auf, setzten sich ans Fenster und redeten noch viel miteinander.
„Du musst wieder zu leben anfangen“, sagte der Pastor. „Sag, willst du es versuchen?“
Berthollet antwortete: „Ich will.“
„Jetzt sollst du mir versprechen, dass du keinen Versuch mehr machen wirst, nicht durch Wasser, nicht durch ein anderes Mittel.“
Er sprach noch eindringlicher, denn Berthollet zögerte vor diesem Versprechen; aber er war so verstört und geschlagen, dass er keinen eigenen Willen mehr hatte. Er gab nach. Er sagte: „Ich schwöre es.“
*
Die Nachbarn waren am nächsten Morgen nicht wenig erstaunt, als sie in der Frühe Berthollet mit der Sense auf der Schulter gehen sahen, um das Heu zu mähen, wie ehemals. Noch erstaunter waren sie, als er sein Fleischerhandwerk wieder aufnahm, sein Haus in Ordnung brachte, den Garten bearbeitete und bepflanzte. Es war wirklich eine Veränderung in ihm vorgegangen, die man nicht übersehen konnte; äusserlich war er wie vorher und man sagte zueinander: „Was ist geschehen?“ Dann hörte man, dass der Pastor bei ihm gewesen und dachte: „Er wird ihn umgestimmt haben.“
Wirklich, er ging regelmässig in die Kirche, er setzte sich der Kanzel gerade gegenüber, und da er ein wenig schwerhörig war, stützte er die Hand ans Ohr, und während der ganzen Predigt blieb er so mit der Hand am Ohr sitzen und strengte sich an, zu verstehen, was gesagt wurde. Manchmal ging er auch zum Abendmahl. Das war an gewissen Tagen, an denen er trauriger war; es gibt Tage, wo die Last des Lebens schwerer zu tragen ist.
Es verging ein Jahr. Ein ganzer Herbst, ein Winter, ein Frühling, und man hörte, dass der Pastor die Pfarre verlassen sollte. Er erzählte es Berthollet zuerst, der sagte nichts. Dann verkündete er es von der Kanzel und alle Frauen weinten. Und bevor er wegging, kam er zu Berthollet und blieb den ganzen Nachmittag bei ihm.
Der neue Pfarrer kam einige Tage später, er war ein grosser, blonder, junger Mensch mit guten Umgangsformer; seinen Pfarrkindern gegenüber war er schüchtern und deshalb waren auch sie schüchtern. Es hiess sofort: „Er ist stolz.“ Vielleicht wusste er, dass man das gesagt hatte, auf jeden Fall sah er die Meinung, die man sich über ihn gebildet hatte, schon an der Art, wie sie ihn grüssten. Manche machten einen Umweg, um ihm nicht zu begegnen; so dass die Dinge sich immer mehr zuspitzten und man ihn schliesslich nur noch Sonntags in der Kirche sah. Das kommt oft vor in Dörfern, wo die Rasse misstrauisch und schwer zugänglich ist.
Aber der Sommer verging und man kam in den Herbst, als Berthollet wieder anders wurde. Seine Tür blieb verschlossen. Und im ganzen Dorf ging das Gerücht, dass Berthollet wieder „besessen“ sei. An einem neuen Novembernachmittag sass der neue Pfarrer in seinem Zimmer und schrieb, als die Magd mit der Nachricht eintrat, dass Berthollet ihn zu sprechen wünsche. Er antwortete, man soll ihn herauflassen, und Berthollet kam. Er war nicht mehr in der Pfarrei gewesen, seit der alte Pastor weg war. Er trug wieder einen langen Bart, lange Haare und in seinen Augen flackerte ein seltsames Feuer unter den buschigen Brauen.
Er blieb hinter der Tür stehen, die er hinter sich geschlossen hatte, und obschon ihn der neue Pastor aufforderte, Platz zu nehmen, machte er nicht mehr einen Schritt; und von weitem begann er zu sprechen.
„Sie müssen mich von dem Schwur, den ich getan, entbinden, denn ich kann ihn nicht lange mehr halten. Aber ich will nicht gegen den Schwur verstossen und ich bitte Sie also: Nehmen Sie ihn von mir, damit ich in Frieden sterben kann.“ Er sagte all das sehr scchnell, ohne zu stocken, dann schwieg er und wartete auf die Antwort. Es dauerte lange, bis sie kam. Denn da der Pastor nichts von Berthollets Geschichte gehört hatte und keine Beziehungen zu den Bergbewohnern unterhielt, glaubte er, je mehr Berthollet redete, dass er es mit einem Verrückten zu tun habe. Er musste also vorsichtig sein, und so liess seine Antwort nicht nur auf sich warten, sondern wurde auch sehr umständlich:
Wenn einmal ein Schwur getan ist, ist er getan. Immerhin hängt es auch von den Umständen ab, unter denen er geleitet wird, die müsse er zunächst kennen, und er wolle sich umhören. Berthollet solle also seinerseits einmal nachdenken und dann wiederkommen, wenn er alles reiflich überlegt habe.
Im Grunde hatte er Angst und er wollte weitersprechen, aber Berthollet unterbrach ihn: „Ja oder nein?“
„Nein, natürlich, wenigstens nicht augenblicklich …“
Berthollet war schon weit weg.
In diesem Jahr kam der Winter früh. Ein schwerer Himmel, grau von Schnee, der drei Tage fiel; dann kam wieder der blaue Himmel zum Vorschein. Man sah Berthollet gar nicht mehr. Die Leute kamen und klopften an seine Tür, er öffnete nicht, man rief ihn, er antwortete nicht. Nur sah man dreimal täglich seinen Schornstein rauchen.
Der November ging vorüber und war ziemlich warm gewesen; der Schnee schmolz sogar an verschiedenen Stellen, das Gras kam in grossen, gelben Flecken wieder heraus. Die Dächer nahmen ihre weissen Mützen ab; aber Anfang Dezember schneit es wieder viel.
Darauf folgte die grosse Kälte. 10 Grad am Weihnachtstag, 15 Grad zu Neujahr. Der Wind pfiff und warf feine Schneewolken auf, wie Dampf, der einen Augenblick lang zum Himmel aufsteigt und wieder fällt. Alle Höhlen waren von diesem zurückfallenden Schnee bedeckt, der feinem Sand gleicht und zwischen den Fingern zerläuft. Gegen Ende Januar ging Berthollet wieder in die Pfarrei, man sagte ihm, dass der Pastor nicht zu Hause sei.
Es wurde Februar, der 15. Februar, der Todestag seiner Frau. Im Winter gehen die Menschen selbstverständlich nicht so oft aus; sie hocken am Ofen, um die Wärme zu spüren. Man sieht sie nur, wenn sie melken gehen. Der Abend kommt früh, mit ihm eine unendliche Stille; hier und da noch eine Stimme, eine Tür, die geschlossen wird, Lichter, die hinter den Fenstern nacheinander verlöschen …
In dieser Nacht war heller Mondschein. Gegen neun Uhr hörte die Magd des Pastors, die Mathilde hiess (sie war nicht aus der Gegend), als sie die Haupttür schliessen wollte, auf der Plattform Schritte. Sie sah nach. Es war Berthollet. Er trug seine Sonntagskleider, einen schwarzen Hut, eine schwarze Krawatte und ein sauberes Hemd.
„Kann man den Pastor sprechen?“
Sie glaubte zuerst an einen Scherz, aber als sie ihn genauer ansah, merkte sie, dass es ernst war. Sie erschrak und antwortete: „Um diese Zeit nicht, kommen Sie morgen zurück.“
Er sagte: „Das, was ich zu sagen habe, ist an keine Stunde gebunden.“
Sie antwortete: „Der Pastor ist soeben schlafen gegangen.“
Berthollet hob die Stimme: „Will er mich zum ewigen Feuer verdammen, wo Gotteslästerer, Meineidige und Mörder hinkommen?“ Als er das sagte, wurde im ersten Stock ein Licht gelöscht, aber er sah es nicht und fuhr fort: „Gehen Sie und fragen Sie ihn, ob er mich in die Verdammnis schicken oder mich von meinem Eid entbinden will.“
Die Magd hielt eine Lampe; die Lampe begann in ihrer Hand zu zittern, und vergebens versuchte sie, die Tür zu schliessen, denn Berthollet hatte einen Fuss dazwischen gestellt.
Plötzlich schien er zu wachsen. Er hatte ein langes, weisses Gesicht. Weiss wie der Hintergrund scheinen seine Haare, seine Stirn, sein Bart; nur seine Augen waren schwarz mit feurigen Funken. Er zog seine Uhr und sagte: „Ich warte noch eine Minute.“
Da versuchte sie mit erloschener, zitternder Stimme zu scherzen: „So angenehm ist es doch nicht, in der Nacht auszugehen.“
Er sagte: „40 Sekunden.“
Sie fing an zu lachen, ein falsches Lachen, aber sie hielt sich kaum aufrecht.
„30 Sekunden.“
Und die letzten zehn Sekunden verstrichen wie ein Blitz. Er sagte: „Es ist geschehen.“
Er zog den Fuss zurück, die Tür fiel ins Schloss und Mathilde drehte den Schlüssel herum. Aber jetzt trieb sie die Neugierde. In der Tür war ein Guckloch, sie sah hindurch. Sie sah, wie Berthollet die Strasse überschritt und quer durch die Felder ging. Manchmal sank er bis zum Bauch ein, aber durch eine starke Bewegung mit dem Oberkörper, die man den in der Luft herumfuchtelnden Armen ansah, kam er gleich wieder heraus. Dann sank er wieder bis zu den Knien ein; aber trotzdem marschierte er weiter, immer gerade aus, auf die Sarine zu. Der Mond leuchtete auf die Tannen herab, auf die Mauern, auf die Gartenzäune, und weiterhin warf er grosse blaue Schatten auf den samtenen Rasen. Berthollet war schon verschwunden. Sie wollte ihn rufen, aber sie wagte es nicht.
Man brauchte am anderen Morgen nur der Spur zu folgen, sie führte direkt zur Brücke. Dort waren zwei Felsspalten, wo das Wasser sehr tief ist und still, ohne Bewegung. Eine leichte Eisschicht hatte sich darüber gelegt. Er war von der Spitze des Felsens heruntergesprungen, hatte die Eisschicht durchdrungen und war darunter liegen geblieben. Es kostete viel Anstrengung, ihn herauszuziehen. Man musste lange Stangen mit Haken holen, so wie sie bei Feuersbrünsten gebraucht werden.