Eine Erzählung aus Alaska, veröffentlicht in Scherl’s Magazin im Juli 1930
Lon McFane war ein bißchen verdrießlich, weil er seinen Tabaksbeutel verloren hatte, sonst hätte er mir doch etwas von der Hütte am Surprise-See – dem See der Überraschungen – erzählt. Den ganzen Tag hatten wir uns Schicht auf Schicht abgelöst. Immer ging einer voran und trat den Schnee für die Hunde mit seinen Schneeschuhen fest. Es war eine schwere Mühe und nicht gerade geeignet, einen Mann gesprächig zu machen, aber Lon McFane hätte sich doch die Mühe geben können, es mir zu erzählen, als wir mittags rasteten, um Kaffee zu kochen. Der See der Überraschungen! – Für mich war es eine Hütte der Überraschungen. Ich hatte noch nie davon gehört. Die ganze letzte Woche hatten wir keinen Menschen getroffen, und nach meiner Berechnung war die Wahrscheinlichkeit, in der nächsten Woche jemand zu treffen, auch nur gering. Und plötzlich lag eine Hütte vor meinen Augen, eine Hütte mit einem schwacherleuchteten Fenster und einem rauchenden Schornstein.
„Warum haben Sie mir nicht gesagt -“ begann ich, wurde aber von Lon unterbrochen, der mumelte:
„Der Surprise Lake – der liegt, eine halbe Meile von hier, an einem kleinen Nebenfluß. Es ist nur ein Teich.“
„Aber die Hütte – wer wohnt hier?“
„Eine Frau!“ Und im nächsten Augenblick hatte Lon an die Tür geklopft, und eine Frauenstimme rief: „Herein!“
„Haben Sie Dave gesehen?“ fragte sie.
„Nein“, antwortete Lon gleichgültig. „Ich bin anderswo gewesen – in der Gegend von Circle City. Dave ist ja bei Dawson, nicht wahr?“
Die Frau nickte, und Lon machte sich daran, die Hunde abzuschirren, während ich die Ausrüstung vom Schlitten losband und in die Hütte trug. Sie bestand aus einem einzigen großen Raum, und die Frau war offenbar allein. Sie zeigte uns den Herd, wo das Wasser schon kochte, und Lon begann unser Abendbrot zuzubereiten, während ich die Fischsäcke öffnete und für die Hunde sorgte. Ich erwartete, daß Lon mich vorstellte, und ärgerte mich, daß er es nicht tat, denn sie waren offenbar alte Freunde.
„Sie sind doch Lon McFane, nicht wahr?“ hörte ich sie sagen. „Gewiß, jetzt erinnere ich mich Ihrer. Das letztemal sah ich Sie auf dem Dampfer? Ich weiß noch -“
Plötzlich war es, als ob die Worte auf ihen Lippen erstürben bei dem schrecklichen Anblick, der sich, wie ich aus ihrem entsetzten Gesichtsausdruck sehen konnte, vor ihrem inneren Auge gezeigt haben mußte. Zu meinem Erstaunen sah ich, daß Lon durch ihre Worte und ihr ganzes Wesen sehr unglücklich wurde, aber deshalb klang seine Stimme doch froh und gemütlich, als er sagte:
„Das letztemal trafen wir uns in Dawson – wissen Sie nicht mehr? Es war Kanuregatta suf dem Fluß und Hindernisrennen in der Hauptstraße.“
Der entsetzte Ausdruck schwand aus ihren Augen, und es war, als erschlaffte ihr ganzer Körper. „Ach ja, jetzt weiß ich“, sagte sie. „Sie wurden bei der Regatta Sieger.“
„Wie ist es Dave in der letzten Zeit ergangen?“ fragte Lon, scheinbar ohne Verbindung mit dem Vorhergehenden.
Sie nickte lächelnd, und da sie im nächten Augenblick bemerkte, daß ich das Bettzeug ausgepackt hatte, machte sie mir ein Zeichen, es an das eine Ende der Stube zu legen. Ich sah, daß ihr eigenes Bettzeug sich am anderen Ende befand.
„Als ich die Hunde hörte, dachte ich, es sei Dave“, sagte sie.
Dann schwieg sie, beobachtete aber aufmerksam Lons Vorbereitungen zum Abendessen, während sie gleichzeit auf den Lärm lauschte, den die Hunde draußen machten. Ich legte mich in meine Decken und beobachtete sie, während ich meine Pfeife rauchte. Es war ein Mysterium – so viel war mir klar, aber mehr konnte ich nicht herausfinden. Warum hatte mir Lon nicht erzählt, ehe wir kamen? Ich studierte heimlich ihr Gesicht, und je mehr ich sie ansah, desto schwerer wurde es mir, den Blick von ihr zu wenden. Es war ein wunderschönes Gesicht, fast überirdisch schön, und es lag ein Licht, oder was es nun war, darüber, das nicht von dieser Welt war. Da plötzlich war es, als würde sie sich zum erstenmal meiner Anwesenheit bewußt.
„Haben Sie Dave gesehen?“ fragte sie. Ich wollte schon antworten: „Was für einen Dave?“ Aber Lon hustete im Rauch des Specks, der in der Pfanne brutzelte. Es konnte selbstverständlich der Speck gewesen sein, der den Husten veranlaßte, aber ich nahm es für einen Wink und fragte nicht. „Nein“, antwortete ich. Ich bin fremd in dieser Gegend -„
„Aber“, fiel sie mir ins Wort, Sie wollen doch nicht sagen, daß Sie nie etwas von Dave gehört haben – von dem großen Dave Walsh?“
„Ja, sehen Sie“, entschuldigte ich mich, „ich bin fremd hier im Lande und habe mich fast immer weiter im Süden, in der Gegend von Nome, aufgehalten.“
„Erzählen Sie ihm von Dave!“ sagte sie zu Lon.
Lon war offenbar unangenehm berührt, aber er begann in derselben frohen, gemütlichen Art, die ich zuvor an ihm bemerkt hatte. Sie wirkte ein klein wenig zu froh und gemütlich, und das irritierte mich.
„Ach, Dave ist prachtvoll!“ sagte er. „Er ist ein richtiger Mann, bis in die Fingerspitzen, und er mißt über zwei Meter in Strümpfen. Wenn er etwas sagt, ist es geradeso gut, wie wenn man es schriftlich bekäme. Dave ist ein Kraftkerl! Er hat einmal einen Grislybären mit einer gewöhnlichen Schrotbüchse geschossen. Er wurde natürlich etwas zerkratzt, aber er wußte schon, was er tat. Er spazierte geradeswegs in die Höhle, nur um den Grisly zu kriegen. Er fürchtete sich vor nichts. Und er gibt sein letztes Geld, ja, sein letztes Hemd und sein letztes Streichholz weg. Ja, und er hat den ganzen Surprise Lake in drei Wochen ausgetrocknet – nicht wahr?“
Die Frau nickte, vor Stolz errötend.
„Und ich muß sagen“, fuhr Lon fort, „es war mir eine mächtige Enttäuschung, daß ich Dave heute abend nicht hier traf.“
Lon setzte das Abendbrot auf das eine Ende des Tisches, der aus gesägten Kiefernplanken verfertigt war, und wir begannen zu essen. Dann heulten die Hunde, und die Frau ging zur tür. Sie öffnete sie etwa einen Zollbreit und lauschte.
„Wo ist Dave Walsh?“ flüsterte ich.
„Tot!“ antwortete Lon. „Vielleicht in der Hölle – was weiß ich? Halten Sie den Mund!“
Die Frau hatte die Tür wieder geschlossen und kam jetzt zurück. Lon wusch die Teller, während ich rauchte und die Frau betrachtete. Sie erschien mir schöner als je, aber es war eine seltsame, fast unheimliche Schönheit.
Wir wollten früh zu Bett gehen, denn wir hatten am nächsten Tag eine lange Reise vor uns, und als Lon zu mir unter die Decke kroch, erkühnte ich mich zu einer Frage.
„Die Frau ist verrückt, nicht wahr?“
„Vollkommen übergeschnappt“, antwortete er.
Und ehe ich noch meine nächste Frage stellen konnte, schlief Lon McFane schon.
Am Morgen frühstückstemn wir in größter Eile, fütterten die Hunde, luden unsere Sachen auf den Schlitten und fuhren ab. Wir verabschiedeten uns, als der Schlitten in Gang gesetzt wurde, und die Frau stand in der Tür und sah uns nach. Die Erinnerung an ihre überirdische Schönheit verfolgte mich den ganzen Tag. Der Surprise Lake befand sich außerhalb der üblichen Route, so daß es keinen gebahnten Weg gab, und Lon und ich mußten abwechselnd den weißen Schnee mit unsern flachen Schuhen festtreten, damit die Hunde weiterkonnten. Wie Lon erklärte, hatten einige Elchjäger an der Stelle, wo der Teelee sich verzweigt, ihr Lager aufgeschlagen, und wir konnten vor Einbruch der Dunkelheit hingelangen. Nun, wir gelangten nicht vor Einbruch der Dunkelheit hin, denn Bright, der Leithund, brach sich das Schulterblatt, und wir verloren eine ganze Stunde mit ihm, ehe wir ihn erschossen. Als wir dann an einer Stelle, wo Baumstämme sich häuften, über den gefrorenen Teelee setzen wollten, kenterte der Schlitten, und wir mußten unser Lager aufschlagen, um die Kufen zu reparieren. Ich bereitete das Abendessen und sorgte für die Hunde, während Lon den Schlitten reparierte, und dann sammelten wir gemeinsam Eis und Brennholz für die Nacht. Dann setzten wir uns in unsern Decken auf und rauchten unsere Abendpfeife, während unsere Mokassins auf den vor dem Feuer in den Boden gestampften Stöcken hingen und dampften.
„Kannten Sie sie?“ fragte Lon plötzlich. Ich schüttelte den Kopf.
„Sie haben wohl ihre Haar- und Augenfarbe und ihre Haut bemerkt – nun ja, daher hat sie ihren Namen – sie war wie der erste warme Schimmer eines goldenen Sonnenaufgangs. Die Leute nannten sie ‚Goldschimmer‘. Haben Sie je von ihr gehört?“
Mir kam es so vor, als hätte ich den Namen schon einmal gehört, aber ich verband keine Vorstellung damit. „Goldschimmer!“ wiederholte ich. Das klingt wie der Name eines Mädchens aus irgendeinem Tanzsalon.“ Lon schüttelte den Kopf.
„Nein, sie war eine anständige Frau, aber deshalb doch eine große Sünderin.“
„Aber warum sprechen Sie immer von ihr in der Vergangenheit, als ob sie tot wäre?“
„Weil die Finsternis, die über ihrer Seele ruht, dasselbe ist wie die Finsternis des Todes. Der ‚Goldschimmer‘, den ich kannte, der ist tot. Das stumme, verrückte Geschöpf, das wir gestern sahen, war nicht ‚Goldschimmer‘.
„Und Dave?“ fragte ich.
„Er baute die Hütte“, antwortete Lon. „Er baute sie für sie … und für sich selber. Er ist tot. Sie wartet auf ihn in der Hütte. Sie glaubt halb und halb, daß er nicht tot sei. Jedenfalls wartet sie auf ihn in der Hütte, die er gebaut hat. Wer wollte die Toten zum Leben erwecken? Und wer wollte die Lebenden wecken, die tot sind? Ich nicht, und deshalb redete ich ihr ein, daß ich Dave Walsh gestern abend erwartet habe.“
„Ich verstehe nicht“, sagte ich. „Fangen Sie mit dem Anfang an wie ein anständiger Mensch, und erzählen Sie mir die ganze Geschichte!“
Und Lon fing an.
„Victor Chauvet, ein Südfranzose, kam in der Goldperiode nach Kalifornien. Er fand kein Gold, begann aber statt dessen Sonnenschein auf Flaschen zu ziehen – kurz, er pflanzte Trauben und kelterte Wein. Aber er war auch immer dort, wo Gold gefunden wurde oder sonst etwas los war. Auf die Weise kam er in den ersten Jahren nach Alaska. Der Grund und Boden, wo Ten Mile ursprünglich lag, gehörte Chauvet. Er brachte die erste Post nach Alaska. Er steckte die ersten Kohlengruben bei Porcupine vor zehn Jahren ab. Er war ein guter Katholik und liebte zweierlei auf der Welt – Wein und Weiber. Alle Arten Wein liebte er, aber von Frauen nur eine – und das war Marie Chauvets Mutter.“
Jetzt stöhnte ich laut.
Was ist los?“ fragte er.
„Los?“ klagte ich. „Ich dachte, Sie wollten mir die Geschichte von ‚Goldschimmer‘ erzählen. Ich mache mir nichts daraus, die Biographie eines alten französischen Trunkenbolds zu hören.
Lon stecktze sich ruhig seine Pfeifa an, nahm einen kräftigen Zug, und legte sie dann fort.
„Aber Sie haben mich doch selbst gebeten, mit dem Anfang anzufangen“, sagte er.
„Ja“, sagte ich, „mit dem Anfang.“
„Und ‚Goldschimmers‘ Anfang war der alte französische Trunkenbold, denn er war der Vater von Marie Chauvet, und Marie Chauvet war ‚Goldschimmer‘. Was können Sie mehr verlangen? Victor Chauvet hatte nie so recht Glück im Leben. Er verschaffte sich seinen Unterhalt und genug, um für Marie zu sorgen, die ja der einzigen Frau glich, die er geliebt hatte. Er sorgte sehr gut für sie. ‚Goldschimmer‘ war sein Kosename für sie, und er benannte eine Goldmine und eine ganze Menge Bauplätze nach ihr. Die Force des alten Mannes waren Bauplätze, aber er kriegte nie etwas dabei heraus.“
„Offen gestanden“, sagte Lon mit einem seiner blitzschnellen Übergänge, „Sie haben sie ja selbst gesehen – wie finden Sie sie – ich meine ihr Äußeres? Wie wirkt sie auf Ihren Schönheitssinn?“
„Sie ist ganz außerordentlich schön“, sagte ich. „Ich habe nie im Leben etwas so Schönes gesehen.“
„Sie war noch schöner, ehe die Finsternis sich auf sie herabsenkte“, sagte Lon still. „Sie war wirklich ‚Goldschimmer‘. Alle Männer waren in sie verliebt … und ganz toll vor Liebe. Sie erinnerte sich gerade noch, daß ich einmal in einer Kanuregatta bei Dawson Sieger wurde – ich, der sie damals liebte und dem sie erzählte, daß sie ihn liebte. Es war ihre Schönheit, die alle Männer in sie verliebt machte. Und jetzt lebt sie in der Finsternis, und sie, die immer launisch und unbeständig gewesen, hält jetzt zum erstenmal in ihrem Leben an etwas fest. Das, woran sie festhält, ist ein Schatten, ein toter Mann, dessen Tod sie nicht versteht.
Und das ging so zu. Sie erinnern sich wohl dessen, was ich gestern von Dave Walsh sagte – von dem großen Dave Walsh? Er war so, wie ich sagte, und vieles dazu. Er kam gegen Ende der Achtziger ins Land – j, das kann man doch wirklich einen Pionier nennen! Er war damals zwanzig Jahre alt und stark wie ein Ochse. Mit fünfundzwanzig Jahren konnte er dreizehn Fünfzig-Pfund-Mehlsäcke vom Boden aufheben. Er konnte schwerere Lasten tragen als ein Chilcoot-Indianer, er konnte stärker rudern als ein Stick, und er konnte einen ganzen Tag mit nassen Füßen reisen, wenn das Thermometer fünfzig Grad unter Null zeigte, und ich sage Ihnen nur: Dazu gehört eine gute Portion Lebenskraft. Sie würden sich bei fünfundzwanzig Grad unter Null die Füße erfrieren, wenn sie naß wären und sie weitergehen wollten.
Aber Dave Walsh hatte Kräfte wie ein Ochse. Und dabei war er gleichzeitig freundlich und gutmütig. Aber glauben Sie nicht, daß er kein Rückgrat hatte. Wissen Sie noch, was ich von dem Bären erzählte, auf den er mit einer Schrotflinte losging? Wenn es zu kämpfen galt, war Dave ein Teufelskerl. Er war einer von den Männern, an denen andere Männer ihr Gefallen finden – und das ist das Beste, was man von einem Manne sagen kann.
Dave machte den großen Wettlauf nach Dawson nicht mit, als Carmack bei Bonanza Gold fand. Sehen Sie, damals war Dave beim Mammon Creek, wo er selbst Gold gefunden hatte. Er holte in dem Winter vierundachtzigtausend heraus, und es sah aus, als sollte der Claim im nächsten Winter ein paar hundertausend bringen. Dann wurde es Sommer; vor lauter Schlamm konnte man den Boden nicht bearbeiten, und er reiste den Yukon hinab nach Dawson, um zu sehen, wie es mit Carmacks Gold stände. Da sah er ‚Goldschimmer‘. Wie ich mich an den Abend erinnere! Ich werde ihn nie vergessen. Es läuft mir kalt über den Rücken, wenn ich daran denke, daß ein starker Mann durch einen einzigen Blick einer schwachen, blonden, kleinen Frau wie ‚Goldschimmer‘ plötzlich so kraftlos werden kann. Es war in der Hütte ihres Vaters, des alten Victor Chauvet. Ein Freund hatte Dave mitgenommen, um über Claims am Mammon Creek zu reden. Aber es wurde nicht viel davon geredet, und das, was er sagte, war fast alles unzusammenhängendes Geschwätz. Ich sagte Ihnen ja: Der Anblick von ‚Goldschimmer‘ hatte Dave ganz verrückt gemacht. Als Dave gegangen war, behauptete der alte Victor Chauvet, daß er berauscht gewesen wäre. Und das war er auch. Er war berauscht, aber ‚Goldschimmer‘ war es, die ihn berauscht hatte.
Ja, Dave war wahrhaftig vom ersten Augenblick an, da er sie vor Augen gesehen hatte, vollkommen erledigt. Er ging nicht nach dem Yukon zurück, als die Woche um war – wie er es sich gedacht hatte. Er blieb einen Monat, zwei Monate, den ganzen Sommer. Und wir, die wir selbst ein bißchen abgekriegt hatten, verstanden ihn und dachten, wie die Geschichte wohl ausfüllen würde. Nach unserer Meinung sah es so aus, als hätte ‚Goldschimmer‘ jetzt endlich ihren Herrn und Meister getroffen. Und warum nicht? Es lag etwas Romantisches über der ganzen Persönlichkeit Dave Walshs. Er war einer der Mammonkönige, der erste, der Gold am Mammon Creek gefunden hatte – er war einer der ältesten Pioniere des Landes – die Leute sahen sich nach ihm um, wenn er vorbeiging, und flüsterten sich in tiefer Ehrfurcht zu: ‚Dort geht Dave Walsh!‘ Und warum nicht? Er maß über zwei Meter; er hatte gelbes Haar, das sich im Nacken lockte – und er war der reine Ochse, ein goldmähniger Ochse, und eben einunddreißig Jahre alt.
Ja, und ‚Goldschimmer‘ liebte ihn, und nachdem er ihr einen ganz Sommer lang den Hof gemacht hatte, wurde schließlich ihre Verlobung veröffentlicht. Der Herbst stand vor der Tür; Dave mußte zur Winterarbeit nach dem Mammon Creek zurück, aber ‚Goldschimmer‘ wollte durchaus nicht, daß die Hochzeit gleich gefeiert wurde. Dave machte den schwarzen Burns zum Aufseher von Mammon Creek und blieb in Dawson. Aber das half nichts. Sie wollte ihre Freiheit noch ein wenig genießen und nicht vor dem nächsten Jahre heiraten. Und so kam es, daß Walsh, sobald das Wasser zugefroren war, allein mit seinen Hunden den Yukon hinabfuhr, und die Abrede war, daß die Hochzeit stattfinden sollte, wenn er mit dem ersten Dampfer zurückkehrte.
Sehen Sie, Dave war so zuverlässig wie der Polarstern, und sie war so unzuverlässig wie eine Magnetnadel in einem Schiff, das mit Magneterz beladen ist. Dave war ebenso brav und solide, wie sie unbeständig und flüchtig war, und jedenfalls traute ihr Dave nicht recht – er, der sonst allen Menschen traute. Vielleicht machte die Liebe ihn mißtrauisch. Jedenfalls quälte der Gedanke an ihre Unbeständigkeit Dave unaufhörlich, und er war ganz außer sich. Etwas hiervon erfuhr ich später von dem alten Victor Chauvet.
Ehe Dave damals mit seinen Hunden nordwärts zog, stellte er sich vor dem alten Franzosen und ‚Goldschimmer‘ auf und erklärte, daß sie ihm ihr Wort gegen hätte. ‚Seine Augen flammten‘, sagte der alte Victor. Er sagte etwas von: ‚Bis das der Tod uns trennt‘, und der alte Victor erinnerte sich namentlich, daß Dave ‚Goldschimmer‘ einmal mit seiner gewaltigen Faust an der Schulter gepackt und beinahe geschüttelt hatte, als er sagte: „Selbst im Tode bist du mein, und ich würde aus dem Grabe wiederkehren, um zu nehmen, was mein ist.‘ Und hinterher erzählte er mir, daß ‚Goldschimmer‘ sehr erschrocken gewesen war und daß er Dave beiseitegezogen und ihm im Vertrauen gesagt hätte, das sei nicht die richtige Art, ‚Goldschimmer‘ zu halten – er müsse sich ihr fügen und gut zu ihr sein, wenn er sie zu halten wünschte.
Ich zweifle nicht einen Augenblick, daß ‚Goldschimmer‘ sich wirklich fürchtete. Sie war selbst die reine Barbarin, wie sie Männer behandelte, aber die Männer hatten sie immer als etwas Feines, wunderbar Zartes behandelt, das man gut behüten mußte. Sie hatte nie gewußt, was Härte hieß … bis Dave Walsh sie mit seiner gewaltigen Faust packte und ihr versicherte, daß sie sein bis zum Tode sei – und sogar noch darüber hinaus. – –
In dem Winter war in Dawson ein Musikant – einer von diesen makkaronifressenden Schmalz-Italienern, und ‚Goldschimmer‘ verliebte sich in ihn. Vielleicht war es nur eine flüchtige Verliebtheit – was weiß ich? Zuweilen habe ich das Gefühl, daß sie Dave Walsh wirklich liebte. Vielleicht hatte er sie mit dem Unsinn ‚Selbst im Tode‘ und ‚Aus dem Grabe zurück‘ so erschreckt, daß sie sich für den Musikanten entschloß. Aber das sind alles nur Mutmaßungen, und die Tatsachen an sich genügen. Er war übrigens gar kein Italiener, sondern russischer Graf – das stimmt schon; und er war kein berufsmäßiger Pianist. Er spielte Geige und Klavier und sang – und sang gut -, aber er tat es zu seinem eigenen Vergnügen und zum Vergnügen derer, denen er vorsang. Er hatte auch Geld – und ich will übrigens gleich sagen, daß ‚Goldschimmer‘ sich nie etwas aus Geld machte. Sie war unbeständig, aber nicht gemein.
Sie hatte Dave ihr Wort gegeben, und Dave sollte mit dem ersten Dampfer kommen und sie holen – es war der Sommer 1898, und der erste Dampfer war Mitte Juni zu erwarten. Und ‚Goldschimmer‘ fürchtete sich, Dave zu betrügen und ihn dann gleich hinterher treffen zu sollen. Es wurde alles ganz plötzlich bestimmt. Der russische Musiker, der Graf, war ihr gehorsamer Sklave. Ich weiß, daß sie es war, die alles ordnete. Der Graf begab sich auf den ersten ausfahrenden Dampfer – es war die ‚Golden Rocket‘ – und ‚Goldschimmer‘ ging auch an Bord, ja, und ich auch. Ich wollte nach Circle City und war ganz verblüfft, als ich ‚Goldschimmer‘ auf dem Dampfer sah. Ich hatte ihren Namen nicht in der Passagierliste gelesen.
Sie war immerfort mit dem Grafen zusammen und lächelte glückselig, und ich bemerkte, daß neben dem Namen des Grafen in der Passagierliste stand: ‚begleitet von seiner Frau‘. Es stand da mit der Kajütennummer und allem. Ich hatte nie etwas davon gehört, daß er verheiratet war – und ich sah auch nichts von einer Frau – wenn es nicht ‚Goldschimmer‘ war. Ich dachte, ob sie an Land getraut worden wären, ehe sie auf das Schiff kamen.
Ich sprach mit dem Steward. Er wußte nicht mehr davon als ich; er kannte ‚Goldschimmer‘ nicht einmal. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie es damals auf der ‚Golden Rocket‘ zuging, als sie im Juni 1898 von Dawson abfuhr. Es war der erste abgehende Dampfer, und folglich waren alle Skorbutpatienten und alle Kranken aus den Hospitälern an Bord, gar nicht zu reden von einer Passagierliste, die so lang wie ein böses Jahr war, ein Gottessegen von Deckpassagieren und Indianern mit Squaws und Hunden ins Unendliche. Und obendrein war er mit Stückgut und Gepäck beladen, daß die Speigatten ganz im Wasser lagen.
Ein ganzer Berg davon lag auf dem Vordeck, und jedesmal, wenn wir anlegten, kam mehr hinzu. Ich sah die Kiste, die bei der Fährstelle Teellee an Bord gebracht wurde, und ich wußte gut, was das für eine Kiste war, wenn ich auch nicht ahnte, was sich darin befand. Und sie stapelten sie über allem anderm auf dem Vordeck auf und stellten sie wohl nicht gerade sehr fest. Mir kam der große Eskimohund, der über das Gepäck und das Stückgut kroch und sich neben die Kiste legte, bekannt vor.
Dann passierten wir die ‚Glendale‘, die nach Dawson fuhr. Als sie uns begrüßte, dachte ich an Dave, der sich an Bord befand und nach Dawson fuhr, um ‚Goldschimmer‘ zu holen. Ich wandte mich um und sah sie an der Reling stehen. Ihre Augen strahlten, aber sie war ein klein wenig erschrocken beim Anblick des andern Dampfers und schmiegte sich an den Grafen, als wollte sie Schutz bei ihm suchen. Sie hätte sich nicht so eng an ihn zu schmiegen brauchen, und ich hätte nicht zu sicher sein brauchen, daß Dave Welsh unterwegs nach Dawson und zu seiner Enttäuschung war, die seiner wartete. Denn Dave Welsh war gar nicht an Bord der ‚Glendale‘. Es gab überhaupt vieles, was ich nicht wußte – zum Beispiel, daß sie gar nicht verheiratet waren.
In einer halben Stunde waren Vorbereitungen für die Trauung getroffen worden. Da der Salon voll von Kranken war und überhaupt ein furchtbares Gedränge an Bord herrschte, erschien für die Feier am besten geeignete Stelle das Vordeck, und zwar ein freier Platz zwischen der Reling und der Laufbrücke, im Schatten des hohen Gepäckberges mit der großen Kiste und dem schlafenden Hund obendrauf. Es war ein Missionar an Bord, der bei Eagle City abgesetzt werden sollte – das war der nächste Ort, wo das Schiff anlegte -, und sie mußten sich beeilen, um Nutzen von ihm zu haben.
Aber ich greife dem Gang der Ereignisse vor. Der Grund, daß Dave Welsh sich nicht an Bord der ‚Glendale‘ befand, war, daß er sich auf der ‚Golden Rocket‘ befand. Und das ging so zu. Nachdem er sich die ganze Zeit ‚Goldschimmers‘ wegen in Dawson aufgehalten hatte, reiste er über das Eis nach dem Mammon Creek, und dort kam er zu dem Ergebnis, daß der schwarze Burns so gut mit der Arbeit am Creek fertig würde, daß er selbst gar nicht dort zu bleiben brauchte. Deshalb lud er etwas Proviant auf den Schlitten, schirrte die Hunde an, nahm einen Indianer mit und fuhr nach dem Surprise Lake. Sie wissen vielleicht nicht, daß die Sache eine arge Enttäuschung wurde, aber damals waren die Aussichten gut, und Dave baute eine Hütte für sich und sie. Die Hütte, in der wir schliefen. Als er damit fertig war, ging er dort, wo der Teelee sich verzweigt, auf die Elchjagd und nahm den Indianer mit.
Und es kam eine richtige Kälteperiode. Das Thermometer fiel auf zwanzig, dreißig, vierzig Grad unter Null. Ich erinnere mich gut der Kälteperiode – ich war bei Forty Mile, und ich erinnere mich sogar noch genau des Tages. Um elf Uhr morgens fiel das Spiritusthermometer im Laden der N.A.T. & T. Company auf fünfzig Grad unter Null. Und an diesem Morgen war Dave Walsh in der Nähe der Stelle, wo der Teelee sich verzweigt, mit dem Indianer auf der Elchjagd. Ich hörte nachher die ganze Geschichte von dem Indianer – wir machten zusammen eine Fahrt über das Eis nach Dyea. An diesem Morgen brach der Indianer ein und wurde bis zu den Hüften durchnäßt. Selbstverständlich begann er sofort steif zu frieren. Das einzig richtige wäre gewesen, Feuer zu machen, aber Dave Walsh war nun einmal immer so schrecklich stark. Es war nur eine halbe Meile bis zu der Stelle, wo sie ihre Sachen hatten, und wo schon ein Feuer brannte. Wozu sollten sie ein neues Feuer machen? Er lud sich den Indianer auf den Rücken und lief mit ihm – eine halbe Meile – bei einer Temperatur von fünfzig Grad unter Null. Sie wissen wohl, was das bedeutet. Selbstmord! Es gibt keinen andern Namen dafür. Sehen Sie, der Indianer wog selbst über zweihundert Pfund, und Dave lief eine halbe Meile mit ihm. Natürlich erfror er sich die Lungen. Es war die reine Tollheit, sich so zu benehmen. Ja, und Dave Walsh starb dann auch, nachdem er ein paar Wochen schrecklich gelitten hatte.
Der Indianer wußte nicht, was er mit der Leiche tun sollte. Unter gewöhnlichen Verhältnissen würde er ihn begraben und liegengelassen haben. Aber er wußte, daß Dave Walsh ein großer Mann mit viel Geld war. Deshalb entschloß er sich, Dave gleich nach Forty Mile zu schaffen. Sie wissen wohl, wie der Boden an der Oberfläche hierzulande gefroren ist, und so, ja – der Indianer legte Dave in einen Fuß Erde – kurz, er legte ihn auf Eis. Dave hätte tausend Jahre dort liegen können und wäre noch genau derselbe Dave geblieben. Verstehen Sie – genau wie in einem Kühlraum. Dann holte der Indianer eine Säge aus der Hütte am Surprise Lake und sägte so viele Balken zurecht, daß er eine Kiste machen konnte. Dann kam das Tauwetter. Das Eis auf dem Teelee geriet ins Treiben. Der Indianer baute ein Floß, brachte die große Kiste mit Dave darin und Daves Hundegespann an Bord und fuhr dann den Teelee hinunter.
An einer Stelle, wo Baumstümpfe sich aufgehäuft hatten, geriet das Floß in die Klemme und mußte zwei Tage lang liegenbleiben. Als er an die Anlegestelle am Teelee kam, überlegte er sich, daß ein Dampfer schneller nach Forty Mile käme als sein Floß. Er barchte die Kiste an Bord, und ja – da haben Sie die Situation – das Verdeck der ‚Golden Rocket‘, ‚Goldschimmer‘, die gerade ihrem Italiener angetraut werden sollte, und Dave Walsh in seiner großen Kiste zwischen ihr und der Sonne. Und eines habe ich ganz vergessen. Es war kein Wunder, daß der Hund, der an der Anlegestelle an Bord kam, mir so merkwürdig bekannt vorkam. Es war Pee-lat, Dave Walshs Leithund und Liebling – und ein furchtbarer Raufbold. Er lag neben der Kiste.
‚Goldschimmer‘ sah mich, rief mich zu sich und stellte mich dem Grafen vor. Sie sah mir lächelnd in die Augen und sagte, daß ich auf alle Fälle Trauzeuge sein müßte. Es war eine komische Hochzeit. Auf dem obersten Deck drängten sich die Wracks aus den Hospitälern, um auf das Vordeck hinunterzugucken. Auch eine Schar Indianer drängte sich in einen Kreis zusammen mit Frauen und Kindern, gar nicht zu reden von den fünfundzwanzig knurrenden Wolfshunden. Der Missionar stellte die beiden auf, und die Feier begann. Und eben in diesem Augenblick gab es ganz oben auf dem hohen Haufen von Gepäck und Stückgut eine Hundebeißerei – es waren Pee-lat, der neben der großen Kiste lag, und ein weißer Hund, der einem der Indianer gehörte. Es war keine schlimme Beißerei. Die Tiere knurrten sich nur von weitem an, verstehen Sie. Der Lärm störte ziemlich, aber man konnte doch die Stimme des Missionars vernehmen.
Und alles wäre gut gegangen, hätte der Kapitän nicht einen Knüppel nach den beiden Hunden geworfen. Das war die Ursache des Unglücks.
Der Missionar war gerade so weit gekommen, daß er sagte: ‚In guten und bösen Tagen‘ und ‚bis der Tod uns scheidet‘. Aber eben in diesem Augenblick warf der Kapitän den Knüppel nach den Hunden. Er traf Pee-lat, und im selben Augenblick sprang das weiße Biest auf ihn los. Die beiden Hunde stießen gegen die Kiste, und das untere Ende wippte, uns sie begann zu gleiten. Es war eine große, längliche Kiste, und sie glitt langsam herunter, bis sie senkrecht stand. Dann rutschte sie direkt auf Deck herunter. Die Zuschauer, die dort standen, konnten eben noch beiseitespringen.
Nun müssen Sie sich erinnern, daß niemand von uns etwas von Dave Walshs Tod wußte. Wir glaubten, er wäre auf der ‚Glendale‘, auf dem Wege nach Dawson. ‚Goldschimmer‘ kehrte der Kiste, als sie fiel, gerade das Gesicht zu. Sie fiel auf die Schmalseite, die ganze Vorderseite der Kiste löste sich, und heraus kam Dave Walsh, aufrecht, halbeingewickelt in seine Wolldecke, und das gelbe Haar flackernd und in der Sonne leuchtend. Direkt aus dem Kasten kam er heraus und flog auf ‚Goldschimmer‘ los. Sie wußte nicht, daß er gestorben war, aber es sah aus, als käme er wirklich aus dem Grabe, um seine Forderung an sie geltend zu machen. Das war es wohl, was sie dachte. Jedenfalls schien sie bei dem Anblick zu Eis zu gefrieren. Sie erstarrte gleichsam und blickte Dave Walsh an, der auf sie losstürzte. Und es sah fast aus, als schlänge eer die Arme um sie, aber wie dem nun auch sein mochte, so stürzten sie jedenfalls zusammen auf das Deck. Wir mußten Dave wegziehen, ehe wir sie fassen konnten. Sie war ohnmächtig, und es wäre besser gewesen, sie wäre nie wieder zu sich gekommen, denn als sie das tat, begann sie zu schreien, wie Leute tun, die ihren Verstand verloren haben. Das dauerte mehrere Stunden, bis sie vollkommen erschöpft war. Ach ja, sie erholte sich natürlich! Sie sahen sie ja selbst gestern abend und wissen also, wie gut sie sich erholt hat. Si etobt nicht, das ist schon richtig, aber sie lebt in der Finsternis. Sie glaubt, daß sie auf Dave Walsh wartet, und deshalb wartet sie in der Hütte, die er für sie gebaut hat. Sie ist nicht mehr unbeständig. Seit neun Jahren ist sie Dave Walsh treu gewesen, und es scheint, als würde sie ihm bis an ihr Ende treu bleiben.“
Lon McFane schlug die Decke zurück und kroch hinein.
„Wir schaffen ihr jedes Jahr Proviant hin und behalten sie überhaupt ein bißchen im Auge. Gestern hat sie mich übrigens zum erstenmal erkannt.“
„Was heißt ‚wir‘?“ fragte ich.
„Ach“, lautete die Antwort, „der Graf, der alte Victor Chauvet und ich. Und, wissen Sie – mir scheint fast, daß der Graf einem am meisten leid tun muß. Denn Dave Walsh erfuhr ja nie, daß sie ihn betrogen hatte. Und sie leidet nicht. Die Finsternis ist barmherzig gegen sie.“
Ich blieb etwa eine Minute liegen, ohne etwas zu sagen.
„Ist der Graf immer noch im Lande?“ fragte ich.
Aber ich hörte nur das gleichmäßige Geräusch schwerer Atemzüge neben mir und wußte, daß Lon McFane schlief.