Gedicht, 1928
Was hat Stefan George mit Rainer Maria Rilke und Hugo von Hofmannsthal gemeinsam? Welche Einstellung hat George zu seiner Dichtkunst? Mit welcher Person setzt sich George in seinem Gedicht auseinander?
Wenden wir uns Stefan George zu, mit Rainer Maria Rilke und Hugo von Hofmannsthal einer der wichtigsten Vertreter des deutschen Symbolismus, vielleicht der radikalste unter ihnen. Gemeinsam ist ihr Bestreben, als Dichter wahrgenommen zu werden. Mit ihrer Kunst versuchen sie nicht, Alltägliches einzufangen, sondern das Schöne mit den Mitteln der Sprache und Worte zu schaffen. „Jeden wahren Künstler hat einmal die Sehnsucht befallen, in einer Sprache sich auszudrücken, deren die unheilige Menge sich nie bedienen würde, oder die Worte so zu stellen, dass nur der Eingeweihte ihre hehre Bestimmung erkenne“, beschreibt George seine Einstellung zur Dichtkunst.
Diese Einstellung und sein Charisma führen dazu, dass sich bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts gleichgesinnte Dichter um George versammeln und dessen Veröffentlichungen als maßgebend für ihre eigene Kunst ansehen. Die Rollen im so genannten George-Kreis sind klar verteilt. Immer wieder gibt es aber auch Künstler, die sich der persönlichen Vereinnahmung durch George entziehen, beispielsweise Hugo von Hofmannsthal, zu dem sich George auch eine körperliche Beziehung wünscht (was von Hofmannsthal von sich weist). Als sich der Österreicher von Hofmannsthal auch anderen Literaturgattungen als der Lyrik zuwendet, reagiert George ablehnend; der Kontakt zueinander wird 1906 schließlich abgebrochen.
In dem Gedicht Du schlank und rein wie eine flamme arbeitet George seine Liebe zu dem mit 16 Jahren verstorbenen Maximilian Kronberger auf (Kronberger gehörte trotz seiner Jugend zu jenen Dichtern, die George um sich sammelte und die sich ihm unterzuordnen hatten).
Du schlank und rein wie eine flamme
Du wie der morgen zart und licht
Du blühend reis vom edlen stamme
Du wie ein quell geheim und schlicht
Begleitest mich auf sonnigen matten
Umschauerst mich im abendrauch
Erleuchtest meinen weg im schatten
Du kühler wind du heisser hauch
Du bist mein wunsch und mein gedanke
Ich atme dich mit jeder luft
Ich schlürfe dich mit jedem tranke
Ich küsse dich mit jedem duft
Du blühend reis vom edlen stamme
Du wie ein quell geheim und schlicht
Du schlank und rein wie eine flamme
Du wie der morgen zart und licht.
In der ersten Strophe wird der Knabe (darauf weisen der Reis als Phallussymbol sowie das Adjektiv „rein“ hin) beschrieben: Es handelt sich um eine zierliche („schlank“) Person aus gehobenem Elternhaus („vom edlen stamme“). Den fehlenden Verben ist der Tod des Knaben zu entnehmen. Der Tote ist für den Dichter noch allgegenwärtig zeigt Strophe 2, die eine Steigerung in Strophe 3 erfährt, in der George in die Ich-Form fällt, und damit seine Abhängigkeit gegenüber dem toten Knaben zum Ausdruck bringt. Strophe 4 greift die Verse der ersten Strophe in geänderter Reihenfolge auf. Dadurch, dass er den „morgen zart und licht“ an das Ende des Gedichtes setzt, drückt George aus, was ihm an dem Toten am Wichtigsten war: dessen Jugend.